Student sitzt an einem Laptop mit Notizbuch und aufgeschlagenem Lehrbuch
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Umfrage
Wie Lehrende Open-Book-Klausuren bewerten

Open-Book- oder Koffer-Klausuren sind seit der Pandemie weit verbreitet. Wie beurteilen die Lehrenden der verschiedenen Fächer dieses Format?

Von Charlotte Pardey 10.07.2021

Open-Book-Klausuren umgehen scheinbar das Kontroll-Problem von Fernprüfungen: Wer seine Studienunterlagen offiziell verwenden darf, müsse doch ohne Weiteres am heimischen Computer eine Klausur schreiben können? Nicht ganz, denn Täuschungen wie etwa der Austausch unter den Klausurteilnehmerinnnen und -teilnehmern sind natürlich nicht zulässig. Als Open-Book-Klausuren ab dem Wintersemester 2020/2021 vermehrt genutzt wurden, waren die deutschen Universitäten und Hochschulen kaum vertraut mit ihnen. Mittlerweile gibt es an fast jeder Hochschule Leitfäden, die sowohl Lehrenden als auch Studierenden erklären, wie diese Prüfungsform funktioniert. Es soll um Transferaufgaben gehen, die unter Zeitdruck bearbeitet werden, um zu verhindern, dass ganze Lösungen dem Internet entnommen werden.

"Als Open-Book-Klausuren ab dem Wintersemester 2020/2021 vermehrt genutzt wurden, waren die deutschen Hochschulen kaum vertraut mit ihnen."

Doch wie wird diese Prüfungsform von den Lehrenden der unterschiedlichen Fächer gesehen? Im Mai und Juni hat Forschung & Lehre eine nicht-repräsentative Stichprobenumfrage zu Open-Book-Klausuren durchgeführt. 14 Fachgesellschaften und Fachgesellschaftsvereinigungen quer durch die Disziplinen (Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften, ebenso wie Medizin) wurden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen oder ihn an ihre Mitglieder weiterzuleiten. Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer sollten unter anderem einschätzen, für wie sinnvoll sie Koffer-Klausuren erachten und warum. Wird diese Art der Prüfungsform im jeweiligen Fach angewendet? Wie hoch ist der Aufwand der Vor- und Nachbereitung von Open-Book-Klausuren? Außerdem sollten die Befragten angeben, ob sie sie für die Prüfungsform der Zukunft halten.

Sind Open-Book-Klausuren sinnvoll?

30 zurückgesandte Fragebögen und zwei Telefoninterviews lieferten Antworten von 14 Fachgesellschaften und 18 Mitgliedern verschiedener Fachgesellschaften. Von den 14 Fachgesellschaften erachteten neun die Open-Book-Klausur nicht als sinnvolle Prüfungsform, zwei als eher nicht sinnvoll. Wiederum zwei Fachgesellschaften hielten sie für sinnvoll und eine für eingeschränkt sinnvoll. Dabei gaben etwas über die Hälfte der Fachgesellschaften an, dass Open-Book-Klausuren in ihren Fächern verwendet werden (8). Unter den befragten Einzelpersonen bewerteten fünf Koffer-Klausuren als sinnvoll, zwölf als nicht sinnvoll. Eine Person gab keine Einschätzung mit dem Hinweis, dass die Eignung sehr situationsabhängig sei.

Die Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer hatten die Möglichkeit, ihre Auswahl zu begründen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologische Schmerztherapie und -for­schung kritisiert Open-Book-Klausuren in der Grundlagenvermittlung: "Open-Book-Klausuren bedeuten, dass die einmal verwendeten Fragen verbraucht sind. Nun lassen sich allerdings nicht unendlich viele Fragen zu eben diesen Grundlagen formulieren. Das führt dazu, dass die Fragen immer spezieller und auch schwieriger werden würden und am Ziel der Überprüfung grundlegender Fachkompetenzen zunehmend vorbeigehen."

Während die Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen betont, dass gerade in operativen Fächern ein grundlegendes Wissen erforderlich sei, da in klinischen Situationen ein "Nachschlagen" nicht sinnvoll möglich wäre, findet das Deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin Open-Book-Klausuren "realitätsnäher und pragmatischer als die hauptsächlich genutzten Multiple-Choice-Questions", diese seien in der Formulierung "mehr mit juristisch haltbaren/korrekten Distraktoren beschäftigt als mit eigentlichem Inhaltswissen". Auch mache es einen Unterschied, in welchem Stadium des Studiums mit Open-Book-Klausuren geprüft würde. In höheren Semestern bearbeiteten angehende Medizinerinnen und Mediziner komplexe Patientenfälle und entwickelten Diagnose- und Behandlungspläne. Dabei sollten laut der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie wie in der Realität alle Hilfsmittel zugelassen sein.

In der Frage nach dem Vorbereitungsaufwand von Open-Book-Klausuren zeigte sich keine eindeutige Tendenz in den Antworten der Fachgesellschaften. In der Korrektur beurteilen allerdings die meisten Fachgesellschaften (10) Open-Book-Klausuren als aufwendiger.

Sind Open-Book-Klausuren die Prüfungsform der Zukunft?

Deutlich war die Einschätzung der Zukunftsfähigkeit der Open-Book-Klausuren: Elf der 14 Fachgesellschaften hal­ten Open-Book-Klausuren nicht für die Prüfungsform der Zukunft. Ein ähnlich klares Bild bietet sich bei den befragten Einzelpersonen, von denen 13 dieser Ansicht sind. Nur eine Fachgesellschaft beziehungsweise drei befragte Personen halten Koffer-Klausuren für zukunftstauglich. Die restlichen Stimmen enthielten sich.

Als Gründe, warum die Open-Book-Klausuren nicht zukunftsfähig seien, werden ihre Umsetzungsschwierigkeiten betont, beispielsweise die "enormen Täuschungsmöglichkeiten" (Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler). Außerdem frage die Prüfungsform kein aktives Fachwissen ab, sondern lediglich "die Fähigkeit zeitnah zu finden, wo das benötigte Wissen steht" (Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin). Open-Book-Klausuren würden Studierende benachteiligen, die weniger gut im reflektierten Anwenden und besser im Reproduzieren seien (Vereinigung für Recht und Gesellschaft). Open-Book-Klausuren stellen "'nur' eine Erweiterung des Repertoires an Prüfungsformen dar" (Deutsche Gesellschaft für Psychologie). Der Deutsche Romanistenverband erläuterte, dass er neben verschiedenen Prüfungsformen, die mit Hilfsmitteln erarbeitet würden (zum Beispiel Hausarbeiten), Klausuren ohne Hilfsmittel benötigt, "um einen minimalen Wissensstand zu garantieren".

Viele Fachgesellschaften machen Open-Book-Klausuren abhängig von der Verfügbarkeit von Video- und Rechnerüberwachung. Diese ist nicht überall gegeben: An der TU Braunschweig beispielsweise können Studierende nicht verpflichtet werden, Kamera und Mikrofon einzustellen, wie Professor Robert Hänsch (Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin in Deutschland, VBio) berichtet. Professor Karl-Josef Dietz (ebenfalls VBio) erklärt, er führe seit Jahren Koffer-Klausuren unter Aufsicht durch. Dies betreffe allerdings nur Veranstaltungen, bei denen es nicht um Noten, sondern das Bestehen gehe. An seiner Hochschule, der Universität Bielefeld, sei die Überwachung per Kamera und Mikrofon allerdings möglich. Dies zeigt, wie sich die Situation nicht nur von Fach zu Fach, sondern auch zwischen den Mitgliedern einer Fachgesellschaft von Standort zu Standort unterscheidet.

"Viele Fachgesellschaften machen Open-Book-Klausuren abhängig von der Verfügbarkeit von Video- und Rechnerüberwachung."

Laut Professor Thomas Skill von der Deutschen Mathematiker-Vereinigung ist die Überwachung durch die Bildschirmkamera gar nicht ausreichend. Was man eigentlich brauche seien drei Kameras. Eine, die den Prüfling zeige, eine den Bildschirm, auf dem die Klausur geschrieben werde und eine, die den restlichen Raum im Blick habe. Es ist erkennbar: Ideale Umsetzungsmöglichkeiten dürften eine Seltenheit sein.