India Mansour während eines Online-Kurses
privat

Digitale Lehre
Mitten im Seminar von Corona überrascht

Die Corona-Pandemie wirft viele Kursinhalte durcheinander. Was eine wissenschaftliche Mitarbeiterin aus ihrem ersten digitalen Seminar mitnimmt.

Von India Mansour 06.05.2020

Mein erstes Seminar an der FU Berlin lief alles andere als geplant. Im Februar sollte ich einen Aufbaukurs in Ökologie halten. Mit 40 Studierenden wollte ich mikrobielle Aktivitäten in bestimmten ökologischen Systemen untersuchen. Es war für mich der erste Kurs, den ich komplett selbst konzipiert hatte. Ich war gespannt, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meine Ideen annehmen würden.

Am Anfang lieft alles reibungslos: Die Studierenden haben gut mitgemacht und wir kamen mit den Lehrinhalten gut voran. Die Zwischenpräsentationen zeigten, dass sie sich mit den Kursinhalten auseinandergesetzt hatten. Von einem Kurstag zum nächsten mehrten sich jedoch die Berichte über die Ausbreitung des Coronavirus und Erkrankungen mit Covid-19 in Europa. Ich hoffte, dass die Ausbreitung so langsam verlaufen würde, dass ich den Kurs noch vorher sicher auf dem Campusgelände abschließen könnte.

Das Seminar lief von montags bis freitags für zwei Wochen, jeweils von 9 bis 17 Uhr. Es bestand aus einer Vorlesung, einem Seminar und Praxiseinheiten. Am zehnten von zwölf Kurstagen wurde plötzlich der erste Covid-19-Fall an der Universität bekannt. Ich hatte nur zwei Möglichkeiten: Entweder müsste ich die Studierenden vorzeitig prüfen – was ich für unfair hielt – oder ich müsste den Rest des Kurses und die Prüfung digital organisieren. Ich entschied mich für zweites.

Der Zeitplan war eng getaktet: Die Prüfung sollte nur wenige Tage nach dem letzten Kurs stattfinden. Ich musste also genau überlegen, auf welche Lehrinhalte ich mich für die letzten Einheiten konzentriere und wie ich sie digital aufbereite. Hinzu kam für mich die sprachliche Hürde. Ich bin keine deutsche Muttersprachlerin und habe das Seminar daher größtenteils auf Englisch gehalten.

Flexible Lernzeiten für Studierende

Ich habe also angefangen, mich in verschiedene Formate der Online-Lehre einzulesen und darüber mit Kolleginnen und Kollegen zu sprechen. Dabei habe ich versucht, mich in die Situation der Studierenden hineinzuversetzen: Vielleicht haben einige aufgrund der Einschränkungen während der Coronazeit weniger Zeit als sonst, müssen Kinder betreuen oder Angehörige pflegen.   

Ich habe mich daher entschieden, den Kurs nicht live zu halten, sondern alle Lehrinhalte digital zur Verfügung zu stellen, damit die Studierenden sie bearbeiten können, wenn es ihnen zeitlich passt. Gleichzeitig war mir wichtig, eine möglichst enge Beziehung zu den Studierenden aufrechtzuerhalten, daher habe ich Videos aufgezeichnet, in denen mich die Studierenden sehen können und ich sie ansprechen kann. Die meisten Videos waren zwischen fünf und zehn Minuten lang. Nur ein Video zu statistischen Grundlagen war 40 Minuten lang. Mein Gedanke war, dass die Studierenden die Inhalte so besser aufnehmen könnten, als bei sehr langen Videos. Zusätzlich habe ich Powerpoint-Präsentationen erstellt. Diese habe ich animiert, um zum Beispiel über Zeichnungen Biosphären darzustellen oder die Aktivität von mikrobiellen Organismen.

Am schwierigsten fiel mir die Wahl eines passenden Prüfungsformats. Einen Multiple-Choice-Test auf Zeit habe ich recht schnell ausgeschlossen: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer könnten leicht in ihre Kursunterlagen schauen. Außerdem wären diejenigen benachteiligt, die sich in dem Moment nicht auf die Fragen konzentrieren könnten. Am besten geeignet erschien mir ein sogenanntes "Open-Book-Exam" in Form eines Essays zu mehreren von mir gestellte Fragen. Diese habe ich so formuliert, dass die Antworten über reine Definitionen, Schlagwörter und einfache Kalkulationen hinausgehen und die Studierenden die Kursinhalte weiterdenken mussten.

Mit den Ergebnissen war ich zufrieden. Mein Plan war aufgegangen: Die Studierenden hatten sich mit den Fragen auseinandergesetzt und nicht nur Gesagtes wiedergegeben. Einige zitierten wissenschaftliche Fachartikel und zeigten damit, dass sie sich noch weitergehend mit den Themen auseinandergesetzt hatten. Die Videos haben jeweils fast alle Studierenden angeschaut, einige haben einen "Daumen hoch" gegeben.

Interaktive Plattformen und smartphonegerechte Kurse

Hätte ich mehr Zeit für die Vorbereitung gehabt, hätte ich gerne mit einer Online-Plattform gearbeitet, über die Studierenden untereinander und mit mir interagieren können, über Chats oder anonyme Abstimmungen. Auch hätte ich die Schwerpunkte für die letzten Stunden des Seminars rückblickend etwas anders gelegt. Auf die Schnelle war es mir schwergefallen, Kursinhalte zu streichen und so habe ich teils an kleinteiligen Inhalten festgehalten. Mit Blick auf die Prüfungen möchte ich über weitere Formate nachdenken, da die Bewertung von Essays – gerade bei größeren Kursen – sehr zeitaufwendig ist.

Für das laufende Semester plane ich aktuell einen Kurs mit rund 300 Studierenden. Ich halte ihn mit einem Team aus mehreren Dozentinnen und Dozenten, meine erste Stunde wird im Juni sein. Seit meinem Kurs hat die FU zusätzliche Software für die digitale Lehre erworben. Dazu gehören auch eine Online-Plattform und Schnittsoftware für Lehrvideos.

Ich freue mich darauf, dieses Mal die Zeit zu haben, meine Lehreinheiten genau zu planen. Dabei möchte ich auch im Blick haben, dass einige Studierende den Kurs über ihr Smartphone belegen werden, weil sie keinen Laptop oder PC haben. Ich werde daher meine Lehrvideos auf verschiedene Plattformen und Betriebssystemen testen. Auch will ich darauf achten, dass Studierende die Videos streamen können und sie nicht downloaden müssen. Und dann freue ich mich auf den Moment, wenn ich mit den Studierenden wieder zu Exkursionen aufbrechen kann, damit sie die Bodenproben über die wir sprechen, selbst nehmen können.

Übersetzung aus dem Englischen: Katrin Schmermund