Ein Roboter steht vor einer Schultafel.
picture alliance / Zoonar | Alexander Limbach

Bildungsgewerkschaft
Moratorium für Digitales in Kitas und Schulen

Die Gesellschaft für Bildung und Wissen fordert zusammen mit Forschenden den Aufschub von Digitalisierung an Kitas und Schulen in Deutschland.

22.11.2023

Angesichts der rasanten Entwicklung von Methoden der Künstlichen Intelligenz, wie ChatGPT, wird in Deutschland derzeit viel darüber diskutiert, wie das Land bei der Digitalisierung aufholen kann. Die Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V. (GBW) spricht sich hingegen dafür aus, in die andere Richtung zu schreiten: Sie fordert einen Aufschub der Digitalisierung in deutschen Kitas und Schulen, da die Wirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsproesse wissenschaftlich noch zu ungeklärt seien. Zu den bislang über vierzig Unterzeichnern gehören vor allem Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, aber auch Kinderärztinnen und -ärzte, Medien- und andere Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, sowie Mathematikerinnen und Mathematiker. 

"Wir fordern die Kultusministerinnen und Kulturminister aller 16 Bundesländer auf, bei der Digitalisierung an Schulen und Kitas ein Moratorium zu erlassen", sagt Professor Ralf Lankau, einer der Initiatoren des Aufrufs. Laut dem sollen im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen "zuerst die Folgen digitaler Technologien abschätzbar sein, bevor weitere Versuche an Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden". 
Lankau zeigt sich in seiner Stellungnahme der GBW besorgt: "Unterricht mit Tablets und Laptops macht die Kinder bis zur 6. Klasse nicht schlauer, sondern dümmer. Hinzu kommen laut Studien negative gesundheitliche, psychische und soziale Wirkungen durch den Einsatz digitaler Geräte im Unterricht". Laut ihm und anderen  Unterzeichnenden verdichten sich wissenschaftliche Hinweise auf enorme Nachteile für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern durch digitale Medien. Forschung & Lehre gegenüber erklärt Lanau, dass Medien im Unterricht einen Mehrwert haben sollten und kein Selbstzwei sein dürfen. Das würde aber durch Begriffe wie "digitale Transformation" laut ihm konterkariert. "Dazu kommt die Fokussierung auf MINT-Fächer, während die ästhetische, die kulturelle und politische Bildung vernachlässigt wurde und wird. Diese Einseitigkeit wird zu einem sozialen und demokratischen Problem, weil das Reflexionsvermögen fehlt", so Lankau.

Digitale Medien gefährlich für Kinder und Jugendliche? 

Das GBW nimmt Skandinavien als Vorbild. Die Länder dort waren, so Lankau, Vorreiter in der Digitalisierung von Bildungseinrichtungen. Doch dieses Jahr habe es ein Umdenken bei der schwedischen Regierung gegeben. Grund dafür: die Stellungnahme von fünf Professorinnen und Professoren des schwedischen Karolinska-Instituts, die auf negative Auswirkungen von Bildschirmmedien auf das Lernen und die Sprachentwicklung von Kindern hinweisen. "Zu viel Bildschirmzeit kann zu Konzentrationsschwierigkeiten führen und die körperliche Aktivität verdrängen", heißt es in dem Gutachten der schwedischen Forschungseinrichtung. 

Als weitere internationale Bezugsquellen nennt das Moratorium die oberste Gesundheitsbehörde der USA, die vor den Folgen für die generelle mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch längere Nutzungsdauer und das immer frühere Einstiegsalter bei Bildschirmmedien warnt. "In Kita und Grundschule braucht man für die pädagogische Arbeit keine Bildschirmmedien", findet auch Lankau. Da informatisches und logisches Denken, neben Lesen, Schreiben und Rechnen auch ohne Rechner vermittelt werden könne. Lankau empfiehlt daher erst  ab der siebten Klasse Informatikunterricht anzubieten, aber bitte nur freiwillig als AG für Interessierte. "Wer junge Menschen auf die Zukunft vorbereiten will,  sollte ihnen statt programmieren, ein fundiertes und qualifiziertes Sprachverständnis beibringen, um präzise zu formulieren, was die Maschinen coden soll", so Lankau zu KI-Thematik. 

KI sei kein Kinderspielzeug

Im "2023 Global Education Monitor" kritisiert die UNESCO, dass bei IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen nicht der pädagogische Nutzen, sondern wirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt stünden. Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Bildungskontext werde als sehr kritisch eingestuft. Die UNESCO empfehle den Umgang mit KI erst ab dem Alter von 13 Jahren und der Deutsche Ethikrat warnt vor der Ersetzung der Lehrer durch Programme mit KI-Technologie, da die Corona-Pandemie das Scheitern davon belegt habe, so die GWB in ihrer Pressemitteilung. In der auch auf Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, sowie Empfehlungen von Kinderärzten und Psychologen hinweist. 

Laut GWB-Aufruf "ist es dringend notwendig, die einseitige Fixierung auf Digitaltechnik in Kitas und Schulen zu revidieren, um interdisziplinär und wissenschaftlich fundiert, mit Fokus auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse über IT und KI in Bildungseinrichtungen zu diskutieren."  Das Wohl der Lernenden und die Wirksamkeit pädagogischen Handelns müsse beim Unterricht im Mittelpunkt stehen. Der Aufruf will "ein Moratorium und öffentlichen Diskurs über pädagogische Prämissen des Einsatzes digitaler Medien in Bildungseinrichtungen." Professor Lankau fordert: "Jetzt ist der Zeitpunkt, dass die Schulpolitik auf die Pädagogen und Kinderärzte dieses Landes hört und den Versuch des digitalen Unterrichts abbricht."

kfi