Studentin mit Laptop auf einem Universitätsgelände
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Wintersemester 2021/22
Zurück an die Uni – aber wie?

Mehr Präsenz soll es geben, aber wie sieht die aus? Welche Erwartungen hegen Lehrende und Lernende zum Beginn des Semesters? Stimmen aus den Unis.

Von Claudia Krapp 29.09.2021

Im Oktober beginnt an den meisten deutschen Hochschulen die Vorlesungszeit des Wintersemesters, an einigen Hochschulen läuft die Lehre schon seit September. Überschattet wird der Beginn des akademischen Jahres zum zweiten Mal in Folge von der Frage, in welcher Form Lehrveranstaltungen coronakonform stattfinden können. Zwar haben sich die Universitäten und Hochschulen mehrheitlich für eine Rückkehr von der Online-Lehre zum Präsenzunterricht ausgesprochen, eine Rückkehr zum Status quo vor der Pandemie bedeutet dies aber noch lange nicht. Allein die Konzepte zur Einhaltung der 3G-Regeln (Zugang nur für Geimpfte, Getestete oder Genesene) und Hygienemaßnahmen (Abstände, Maskenpflicht) unterscheiden sich von Uni zu Uni und erschweren die Umsetzung vieler Veranstaltungen.

Ein unbeschwerter Besuch der Hochschule sieht anders aus. Der sonst übliche Trubel und Austausch auf dem Campus und in den Gebäuden wird wohl nicht das prä-pandemische Niveau erreichen. Studierende in jüngeren Semestern haben die Hochschulen teilweise noch nie betreten und lernen sie von dieser Seite zum ersten Mal kennen, für ältere Studierende und Dozierende dürfte es ein befremdliches Wiedersehen werden. Rückkehrer aus Auslandssemestern kennen oftmals das Gefühl, das sich einstellt, wenn man die einst vertraute Umgebung mit neuen Augen sieht. Ob Rückkehrer aus dem Online-Semester einen ähnlichen Kulturschock erleben werden, bleibt abzuwarten.

Sowohl für Dozierende als auch Studierende ist das Wintersemester eine neue Situation, auf die es sich einzulassen und mitzugestalten gilt. Aber wie geht es ihnen damit? Wie sicher fühlen sie sich bei der Rückkehr zur Uni und welche Erwartung haben sie an das Corona-Management ihrer Hochschule? Nicht alle sind einverstanden mit dem Entweder-Oder der Online- oder Präsenz-Lehre, viele wollen aus den Erfahrungen der Pandemie für eine hybride Zukunft lernen. Hier berichten einige Lehrende und Lernende, was sie derzeit bewegt und mit welchen Corona-Lasten sie in das neue Semester starten.

Susanne Westhoff: "Hybrid ist das neue Normal"

"Den mit der Justin-Timberlake-Frisur, der im Online-Seminar geglänzt hat, habe ich schon im Institut entdeckt. Es sei höchste Zeit, aus dem WG-Zimmer heraus und wieder in den Hörsaal zu kommen, haben mir viele Studierende gesagt – zugegeben, Corona-viele. Freude nehme ich wahr, dass die Uni wieder aufmacht. Vor allem aber Notwendigkeit, dringende Notwendigkeit, wieder als universitas zusammen zu kommen, als die Gesamtheit der Lernenden, Lehrenden und Forschenden, die uns ausmacht und anspornt.

Portraitfoto von Junior-Prof. Dr. Susanne Westhoff
Juniorprofessorin Susanne Westhoff unterrichtet Theoretische Physik an der Universität Heidelberg. Konrad Goes

Offiziell kehren wir im Wintersemester zur Präsenzlehre zurück, an der Universität Heidelberg wie andernorts in Deutschland. Online-Formate sollen die Ausnahme bleiben, lautet der Auftrag des Rektorats an uns Lehrende. So unersetzlich die gute alte Tafel, so groß die Freude über die vertrauten Kommunikationswege auch ist, wünsche ich mir neue Vielfalt in der Lehre. Viele Online-Konzepte, die wir in der Pandemie ausgetüftelt haben, können wir in Zukunft gezielt einsetzen. Lern-Videos helfen beim Vertiefen der Inhalte aus der Vorlesung; kurze Online-Treffen mit Studierenden unterstützen sie effizient bei Seminarvorbereitungen; gemeinsame Ringvorlesungen mit anderen Instituten erweitern das Spektrum an Angeboten und vernetzen die Teilnehmenden. Das neue Normal sollte hybrid sein, sollte Präsenz- und Online-Formate sinnvoll miteinander verknüpfen. Wie das geht, können wir zum Beispiel von unseren Nachbarn in den Niederlanden oder von Kolleginnen in den USA lernen, die hybride Lehrkonzepte schon vor der Pandemie mit Gewinn genutzt haben.

Hybrid funktioniert mein Alltag als Juniorprofessorin auch jenseits der Lehre. Besonders den Wechsel zwischen Institut und Home Office, zwischen Marktplatz und Elfenbeinturm, habe ich diesen Sommer schätzen gelernt. Den passenden Ort für kommunikative und konzentrierte Arbeit wählen zu können, hilft mir meine Zeit und meine geistigen Ressourcen pro Tag effektiv zu nutzen. Natürlich geschieht das in Absprache mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in meiner Arbeitsgruppe, die aktuell an verschiedenen Orten aktiv sind. Diesen optimierten Arbeitsrhythmus zum Semesterstart an die vielen Präsenztermine anzupassen, wird uns herausfordern.

In unserem Fachbereich, der Physik, haben sich in der Pandemiezeit neue Workshop-Formate etabliert, bei denen die Teilnehmer vor Ort über eine Konferenzschaltung mit Kolleginnen aus aller Welt verbunden sind. Auch hier zahlt sich die hybride Methode aus. Jede und jeder kann unabhängig vom Geld- und Zeitbudget mitdiskutieren, ohne dabei das CO2-Budget zu strapazieren. Die internationale Forschergemeinde rückt so näher zusammen.

Jetzt ist ein guter Zeitpunkt unsere Arbeitsweisen in Lehre und Forschung neu zu ordnen. Ich freue mich auf die neue Uni im Wintersemester. Am meisten aber hoffe ich auf persönliche Begegnungen auf dem Gang und an der Kaffeemaschine. Ich freue mich auf endlich wieder mehr Zufall."

Nicolas Battigge: "So kann es nicht mehr weitergehen"

"Als Bachelorstudent, der sein Studium im Herbst 2020 begonnen hat, kenne ich die Institution Universität bisher nur aus Erzählungen. Zwar studiere ich seit nunmehr zwei Semestern Politik und Deutsch auf gymnasiales Lehramt, vollständig verstanden habe ich das Konstrukt Studium bisher aber immer noch nicht. Die Rückkehr zur Präsenzlehre ist für mich mit vielen Unsicherheiten und Ängsten aber auch mit Spannung verbunden. Stellt ein Studium in Präsenz doch ein Novum für mich dar. Trotz der Tatsache, dass nunmehr ein Drittel meines Bachelors hinter mir liegt, fühle ich mich häufig wie ein kompletter Anfänger.

Portraitfoto von Nicolas Battigge
Nicolas Battigge studiert im Bachelor Politikwissenschaft und Germanistik an der Universität Heidelberg. Felix Guth

Nun also Präsenz. Angst vor dem Virus habe ich keine. Mein Umfeld und ich sind vollständig geimpft. Ich bin jung, sportlich, gesund. Die Chancen im Falle einer Infektion schwer zu erkranken sind gering. Meine Sorgen rühren eher daher, dass ich seit über einem Jahr kein geregeltes Leben mehr hatte und auch gar nicht mehr so richtig weiß, wie sich das anfühlt. Vieles ist aus den Fugen geraten. Ich vermisse meinen Alltag mit all den Routinen und Wägbarkeiten. Die Sicherheiten und den Rahmen, die einem Schule, Studium oder Job sonst geben. Andererseits habe ich große Angst davor, was genau da auf mich zukommt. Werde ich mich an der Universität zurecht finden? Wie komme ich mit den Leuten klar? Was, wenn ich mich einsam fühle? Sicher alles auch Ängste von Menschen, die neu anfangen zu studieren. Nur dass ich bereits seit einem ganzen Jahr studiere und man eigentlich meinen könnte, ich wisse grob was ich da tue.

Vor meinem Leben als Student hörte ich häufig, das Studium sei die beste Zeit im Leben. Bisher habe ich davon leider wenig gemerkt. Vielmehr haben sich bei mir Zukunftsängste, Studienzweifel und ein generelles Gefühl des Kontrollverlustes manifestiert. Durch die Gründung der Initiative "OnlineLeere" habe ich gemerkt, dass ich mit meinen Sorgen und Nöten nicht alleine bin. Viele meiner Kommilitonen, die ich bis dato nur als kleine Kacheln aus Videokonferenzen kannte, fühlen sich genauso hilflos und entwurzelt wie ich. Wie groß der Wunsch nach einer Rückkehr zur Normalität ist, zeigt auch die Petition, die ich zeitgleich mit der Initiative gestartet habe. Darin wird die Forderung nach einer schnellen Rückkehr zur Präsenzlehre und eine Öffnung der Hochschulen laut. Unterzeichnet wurde sie von fast 5.000 Personen.

Mit der Rückkehr zur Präsenzlehre sind aber auch zahlreiche Hoffnungen verbunden. Ich hoffe durch das Studium vor Ort endlich an meinem Hochschulstandort anzukommen, an dem ich mich bisher nicht wirklich zuhause fühle. Ich hoffe, dass ich Klarheit über meine Studienzweifel erlangen kann. Ich hoffe dass ich Menschen kennenlerne, die mich voranbringen und den Lebensabschnitt Studium bereichern. All das sind Hoffnungen – Erfüllung ungewiss. Was ich aber weiß ist, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Und deshalb bin ich froh, trotz all meiner Ängste an die Universität zurückkehren zu können. Studium ist eben mehr als ECTS sammeln."

Kerstin Mayrberger: "Ich habe Gefallen an der Online-Lehre gefunden"

"Der Studiengang, in dem ich lehre, wird die zunächst coronabedingte Umstellung beibehalten und weiterhin als Online-Studiengang laufen; alle meine Lehre findet somit online statt – ebenso die Gespräche mit den Studierenden, von denen die Wenigsten vor Ort in Hamburg leben. Ich muss zugeben, dass ich Gefallen an der Online-Lehre gefunden haben – insbesondere, wenn sich alle Beteiligten auf interaktive Formate einlassen und ich merke, dass der Rahmen für alle passend ist. Hier sind schon viele gute Diskussionen entstanden. Das motiviert sehr, die Lehre weiter fachlich zu optimieren und hinsichtlich des didaktischen Formats mit Blick auf die Studierenden weiter zu entwickeln.

Portraitfoto von Prof. Dr. Kerstin Mayrberger
Kerstin Mayrberger ist Professorin für Lehren und Lernen an der Hochschule mit Schwerpunkt Mediendidaktik an der Universität Hamburg. Toni B. Gunner

Insofern wird für es für mich zum Wintersemester eher dahingehend interessant werden, wie sich der universitäre Alltag neben der Lehre, also das Drumherum, entwickeln wird: Werden Teamsitzungen und auch Gremiensitzungen weiterhin online oder mindestens auch hybrid stattfinden können? Für welche Termine lohnt es sich wirklich vor Ort zu treffen – und welchen Anspruch werden wir an diese haben? Und bei allem Vertrauen in die geltenden Maßnahmen des Corona-Managements bleibt jedes Mal zu fragen – wofür lohnt sich der Aufwand jeweils genau? Aber auch: Welche Beziehungen an der Hochschule möchte ich in welcher Intensität aufnehmen, wen möchte ich aber auch baldmöglichst persönlich wieder in ein und demselben Raum treffen?

Insgesamt habe ich durch die letzten Monate voller zielführender und konzentrierter Online-Gespräche, -Treffen und -Beratungen sowie nahtlos eingewobener produktiver Phasen für mich sehr gut feststellen können, wie ich zukünftig in Forschung und Lehre sowie Gremienarbeit und Administration arbeiten und mit meinen begrenzten Ressourcen umgehen möchte – beispielsweise je nach Anlass unnötige Reisezeit vermeiden, dafür aber gezielter persönliche Treffen zu forcieren und Gelegenheit für die direkte oder computervermittelte Kommunikation "dazwischen" zu schaffen. Das heißt für mich daher auch, in der Lehre wie in der Forschung der gemeinsamen Zeit sehr viel mehr Wertschätzung entgegenzubringen und genauer zu schauen: was sollten wir in Interaktion vor Ort tun – und was lässt sich gut online vor- oder nachbereiten und abstimmen.

Es wird für mich also sowohl persönlich als auch fachlich interessant werden, wie wir nunmehr die Praktiken in Lehre, Forschung, Transfer wie Administration an den Hochschulen gemeinsam neu definieren werden und wohin sich die Hochschule in der Kultur der Digitalität entwickeln wird. Und hier liegt zugleich meine größte Sorge wie Hoffnung: Und zwar, dass alle Mitglieder der Hochschule mit ihrem Erfahrungswissen der letzten Monate – statt einer romantisierten Vorstellung nachzutrauern – bereits ab dem ersten Tag des Semesters die Möglichkeit ergreifen werden, den Beziehungsraum Präsenzhochschule gemeinsam neu zu verhandeln und passend für 2021 und darüber hinaus zu gestalten!"

Olaf Zawacki-Richter: "Einige würden vielleicht sagen zu vorsichtig"

"Ich möchte vorausschicken, dass ich mich bei der Online-Lehre in meinem Element befinde, da ich aus der Fernstudienforschung komme und mich seit über 20 Jahren mit der Entwicklung und Durchführung von Online-Studiengängen beschäftige. Daher ist mir die komplette Umstellung auf online im Sommersemester 2020 nicht besonders schwergefallen. Auch in der grundständigen Lehre vertrete ich Themen des mediendidaktischen Designs im Kontext des lebenslangen Lernens – der Gegenstand meiner Lehre bietet sich also für ein Blended Learning oder auch reines Online Lernen geradezu an.

Dennoch muss ich sagen, dass ich mich sehr auf die Studierenden im kommenden Wintersemester freue. Obwohl klar ist, dass auch online die Kommunikation sehr interaktiv und empathisch sein kann (und hoffentlich auch in meiner Online Lehre ist), habe ich doch den persönlichen Austausch mit den Studierenden sehr vermisst – intensive Kontakte über unsere Inhalte, die oft zu einer Abschlussarbeit oder sogar zu einer Mitarbeit in der Forschung führen.

Portraitfoto von Prof. Dr. Olaf Zawacki-Richter
Olaf Zawacki-Richter ist Professor für Wissenstransfer und Lernen mit neuen Technologien und Dekan der Fakultät I – Bildungs- und Sozialwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. privat

An der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg haben sich alle Fakultäten für eine möglichst weitgehende Öffnung der Universität ausgesprochen. Das Präsidium war bei der Auslegung und Anwendung der Corona-Regelungen immer sehr vorsichtig – einige würden vielleicht sagen zu vorsichtig. Ich habe mich dabei aber immer sicher gefühlt und finde es richtig, dass wir nun behutsam und verantwortungsvoll öffnen. Das heißt, dass an unserer Fakultät immerhin 30 bis 40 Prozent der Lehrveranstaltungen Präsenzanteile haben, also als hybride oder blended Formen durchgeführt werden, aber auch reine Präsenzlehre ist wieder möglich. Vorlesungen ab 100 Studierenden finden weiterhin rein online statt. Auch ich biete im Winter eine große Vorlesung, aber auch ein reines Präsenzseminar an.

Für einige Studierende wird diese Rückkehr mit Schwierigkeiten verbunden sein, zum Beispiel wenn sie ihre Wohnung oder ihr Zimmer in Oldenburg aufgegeben haben. Eine verlässliche Planung und Kommunikation zur Durchführung des Wintersemesters war daher sehr wichtig. Ein Angebot in hybrider Form, das heißt eine parallele Lehre mit den Studierenden im Raum und zugeschalteten Studierenden halte ich jedoch in der Breite für zu aufwändig und kaum umsetzbar. Insofern bin ich ganz froh, dass ich meine Lehre entweder rein online oder in Vollpräsenz durchführen kann.

Für die Online-Lehre habe ich viel Zeit in die Erstellung von digitalen Inhalten investiert (Videovorträge, Aufgaben, ergänzende Texte und Materialien), die ich den Studierenden in einem "Lernpfad" zur Verfügung stelle. Da ich eine synchrone 1:1-Übertragung eines Seminars für ermüdend für alle Beteiligten halte, versuche ich, eine ausgewogene Mischung von synchronen und asynchronen Lernaktivitäten anzubieten.

Es würde mich sehr freuen, wenn wir diese und ähnliche Konzepte und Lernmaterialien auch zukünftig nutzen, qualitativ weiterentwickeln und auch miteinander teilen könnten (zum Beispiel als Open Educational Resources auf den OER-Portalen der Länder). Ich werde mit Sicherheit auch weiterhin zumindest Anteile meiner Lehre im Blended Learning-Format anbieten. Dafür brauchen wir aber auch entsprechende Lernorte auf dem Campus für eine Verschränkung von Präsenz und online."

Katharina Ness: "Eine entscheidende Rückkehr"

"Obgleich ich die generelle Wiederauferstehung des Campuslebens und die Rückkehr in die Präsenzlehre stark herbeisehne, habe ich entschiedene Bedenken bezüglich des Umgangs. Der gesundheitliche Aspekt ist für mich hier zweitrangig, denn es ist an der Universität gegenwärtig ebenso (un)sicher wie in allen anderen Lebensbereichen. Und ich möchte mich einem Risiko lieber beim Lernen aussetzen als in einem schwitzigen Club oder einem biergetränkten Fußballstadion.

Portraitfoto von Katharina Ness
Katharina Ness ist Masterstudentin der Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Leon Heilemann

Viel tiefer und grundlegender sind meine Befürchtungen hinsichtlich eines doppelten Strukturwandels. Die Institution Universität als ökonomischer Akteur hat mit der erzwungenen Digitalität der letzten Semester die Fährte einer vermeintlich funktionierenden und – noch viel wichtiger – mittelfristig günstigeren Alternative zur Präsenzlehre aufgenommen. Es wurden Reinigungskosten gespart; Personalschlüssel verschoben. Die bis auf die Ebene der persönlichen Existenz hinunterreichenden Digitalerfahrungen werden nun vom Qualitätsmanagement und den zuständigen Ministerien zahlenbasiert evaluiert. Positive Schlagworte wie Flexibilisierung und Individualisierung bereiten dem digitalen Heimstudium den Weg. Sollte dies alternativ und unabhängig zur herkömmlichen Präsenzuniversität als eine Art Hybrid-Hochschule neu begründet werden, wäre dies gewiss ein Schritt in Richtung Bildungsgerechtigkeit und ein hervorragender Rahmen für Innovationen – meine Befürchtung ist jedoch, dass sich eine flächendeckende Abkehr der Präsenzuniversität zugunsten der vermeintlich kostensparenden Digitalversion durch die Hintertür einschleicht.

Wie tiefgreifend solch ein Wandel wäre, deutet sich in der Studierendenschaft bereits an. Die Stummschaltung – in digitalen Kommunikationsprogrammen im wahrsten Sinne des Wortes mit nur einem Klick möglich und meist gefordert – verschiebt das Normal der universitären Gesprächskultur. Lehre wurde und wird noch deutlicher mit Konsum verwechselt. Das Erschaffen, Gelingen oder gar Misslingen eines offenen Diskurses sowie einer gemeinsamen Bildungsreise wird noch stärker als sowieso schon in individuelle Faktoren wie Motivation, Fähigkeiten und Charaktereigenschaften zerlegt; in das, was man mitbringt. Statt institutionellen, professionellen Rahmenbedingungen gibt es Mehr-Lasten auf den Schultern aller Beteiligten.

Genau richtig sowie unausweichlich ist und bleibt daher die entschiedene Rückkehr in die Präsenzlehre. Sie muss beginnen; denn während der Digitalsemester wurde der Bildungsauftrag nicht wahrgenommen – dieser beinhalt nämlich weit mehr als die Aufrechterhaltung eines bloßen Informationsflusses. Ich erwarte von der Universitätslandschaft einen reflektierten und vor allem an bildungs-ethischen statt ökonomischen Interessen ausgerichteten Umgang mit den Folgen der Pandemie für die Universität."