Hochschulorganisation
"Die deregulierte Hochschule ist ein Mythos"
Kaum ein Konzept wird zurzeit an Universitäten und Fachhochschulen so gefeiert wie das der "autonomen Hochschule". Mit einer fast schon peinlichen Vorliebe für sprachlichen Pathos verabschieden Landesparlamente "Hochschulfreiheitsgesetze", mit denen die Universitäten und Fachhochschulen aus den Fängen der Bildungs- und Wissenschaftsministerien befreit werden sollen. Mit dem Begriff der "deregulierten Hochschule" wird dem Modell einer von staatlicher Detailsteuerung befreiten Hochschule gehuldigt, die sich "qua ihres Expertenwissens erfolgreich auf dauerhaft hohem Niveau zu positionieren" weiß. Endlich, so der Tenor, werden Universitäten und Fachhochschulen von bloßen Anhängseln der Ministerien zu vollständigen "Organisationen" aufgewertet, die ihre zentralen Strukturentscheidungen selbst treffen können.
Aber um wessen Autonomie geht es genau, wenn von autonomen Hochschulen gesprochen wird? Wer genau in den Hochschulen wird hier aus Zwängen befreit? Und was wird durch die neuen Gesetze dereguliert? Es fällt auf, dass nicht nur in politischen Plädoyers für "Hochschulfreiheit", sondern auch in wissenschaftlichen Evaluationen der Veränderungen an Universitäten häufig nur pauschal von einer neuen Autonomie der Hochschule gesprochen wird. Universitäten und Fachhochschulen werden tendenziell als monolithische Blöcke präsentiert, die durch die neue Hochschulgesetzgebung insgesamt aus den Zwängen einer staatlichen "Überregulierung" befreit werden. Man erspart sich gerade in wissenschaftlichen Evaluationen der Gesetzgebungsverfahren, genauer zu spezifizieren, auf welcher Ebene denn die Entscheidungsautonomie an den Hochschulen entsteht.
"Die 'Befreiung' der Hochschulen von staatlicher 'Überregulierung' ist eher eine Verschiebung der Kompetenzen, hin zu den Hochschulleitungen."
Dabei macht es Sinn, unter "Befreiung" der Hochschulen nicht vorrangig eine Verschiebung der Kompetenzen zwischen Ministerien und Hochschulen zu verstehen, sondern eher eine Verschiebung der Kompetenzen zwischen den Leitungen der Hochschulen einerseits und den Fachbereichen, Fakultäten und Instituten andererseits. Beim Blick auf die zentralen Strukturmerkmale einer Universität – Einstellung des Personals, Entscheidungen über den Aufbau der eigenen Organisation und Gestaltung der Programme für Lehre und Forschung – bedeuten Autonomie, Entfesselung und Deregulierung vorrangig die Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen bei den Leitungen der Hochschulen und Universitäten.
Personalentscheidungen, Organisationsaufbau und Programme
Die Personalentscheidung über die Vergabe einer Professur ist eine der zentralen Strukturentscheidungen von Universitäten und Fachhochschulen. Über die Berufung des Personals wird die inhaltliche Ausrichtung von Forschungsrichtungen und Studiengängen maßgeblich festgelegt. Sicherlich werden diese Personalentscheidungen nach wie vor von den Fachbereichen und Fakultäten vorbereitet, weil nur dort die notwendige Sachkenntnis über die Qualifikation der Bewerber vorhanden ist. Aber während diese Vorschläge früher durch die Wissenschaftsministerien genehmigt werden mussten und dabei gelegentlich die eine oder andere parteipolitisch motivierte Umsortierung von Berufungslisten stattgefunden hat, wandert die letzte Kompetenz bezüglich der Einstellung von Professoren jetzt zu den Hochschulleitungen. Und in vielen Universitäten und Fachhochschulen scheinen die Präsidien und Rektorate gewillt, diese neuen Kompetenzen stärker zu nutzen als früher die Ministerien.
Auch die Kompetenzen bezüglich des organisationalen Zuschnitts der Universitäten und Fachhochschulen haben sich verschoben. Während Wissenschaftsministerien früher ein erhebliches Mitspracherecht bezüglich der Einrichtung, Zusammenlegung und Schließung von Instituten, Fakultäten und Fachbereichen hatten, fallen diese Kompetenzen ebenso zunehmend in den Bereich der Hochschulleitungen. Zwar scheitern grundlegende Neuzuschnitte von Hochschulen häufig noch an den Widerständen der betroffenen Institute, Fakultäten und Fachbereiche, aber die vielfach angedachte Ausbildung von universitätsinternen Colleges, Master Schools und Graduate Schools parallel zur Fachbereichsstruktur wird die Entscheidungskompetenzen gerade bezüglich der Lehre in Richtung Universitätsspitze verschieben.
"Die Hochschulleitungen ziehen zunehmend Entscheidungen über Studiengänge an sich."
Besonders auffällig ist die Kompetenzverlagerung bei der Gestaltung von Studienprogrammen. Während Entscheidungen über Details von Studiengängen früher häufig direkt zwischen den Fachbereichen und den jeweiligen Fachreferenten in den Landesministerien ausgehandelt wurden, ziehen – unterstützt durch ein Wachstum von Stabsstellen – zunehmend die Hochschulleitungen Entscheidungen über Studiengänge an sich. Auch wenn die Entwicklung von Studiengängen in der Regel noch in den Instituten, Fachbereichen und Fakultäten stattfindet, nehmen sich die
Hochschulleitungen jedoch zunehmend das Recht heraus, nicht nur Rahmenrichtlinien für Studiengänge zu entwickeln, sondern bis in die inhaltlichen Details der Gestaltung einzelner Module hineinzusteuern.
Autonomie der Hochschule bedeutet Zentralisierung
Die Effekte der Kompetenzverlagerung von den Ministerien an die Hochschulen können rhetorisch mit dem Postulat einer "Win-win-Situation" für alle Angehörigen der Hochschulen unsichtbar gemacht werden. Die neu gewonnene Autonomie der Hochschulen komme, so das häufig zu hörende Versprechen, nicht nur den Präsidien und Rektoraten, sondern gerade auch den vielen dezentralen Einheiten an den Hochschulen zugute. Dass Institute, Fakultäten und Fachbereiche vielfach über abnehmende Autonomie klagen, könne mit einer falsch "dosierten Kompetenzverteilung" innerhalb der jeweiligen Hochschule erklärt werden, die leicht durch eine bessere Verknüpfung von zentral-strategischer und dezentraler Entscheidung vermieden werden könne.
Aber "Win-win-Situationen" sind in der realen Welt viel seltener, als es gerade die Statements von Bildungspolitikern erscheinen lassen. Häufig ist der Autonomiegewinn des einen eben nur auf Kosten der Autonomie eines anderen zu erreichen. Die "Organisationswerdung" der Universitäten bedeutet deswegen erst einmal, dass sich neue Konfliktlinien zwischen Hochschulleitungen einerseits und Fachbereichen andererseits über die Frage ausbilden, wie stark die Durchgriffsmöglichkeiten der Zentrale bezüglich der formalen und inhaltlichen Gestaltung von Studiengängen sein sollen.
Eines dürfen diejenigen, die in den "Dezentralen" über die Eingriffe der Hochschulleitungen klagen, sicherlich nicht vergessen: Auch früher waren die Institute, Fachbereiche und Fakultäten nicht frei in ihren Entscheidungen über Personal, Kommunikationswege und Programme. Aber die häufig als Überbürokratisierung diskriminierte Detailsteuerung durch Ministerien hatte für sie einen großen Vorteil – die Ministerien waren in der Regel weit weg, und Präsidenten und Rektoren dienten häufig für die "Dezentralen" als gleichsam effektive und geschätzte Puffer, um den Fachreferenten der Ministerien keine Möglichkeit zu geben, in die Lehr- und Forschungsaktivitäten hineinzusteuern.
"Aus den ehemaligen Verbündeten gegen Durchgriffe der Ministerien werden jetzt Konfliktparteien."
Jetzt aber statten die Landesgesetze genau diese Hochschulleitungen mit Möglichkeiten zur Detailsteuerung auch in Kernbereichen der Lehre und Forschung aus. Die meisten Präsidien und Rektorate scheinen der Versuchung der neuen Budgethoheit nicht widerstehen zu können und vermehren die Zahl der weder direkt in Lehre noch Forschung tätigen Stabsstellen, um besser auf dezentrale Einheiten zugreifen zu können. Aus den ehemaligen Verbündeten gegen Durchgriffe der Ministerien werden jetzt Konfliktparteien, mit denen die Fachbereiche, Fakultäten und Institute über die Verteilung der Kompetenzen in den Hochschulen streiten.
Letztlich kann man an Hochschulen die Ausbildung der gleichen Konfliktlinien beobachten, die wir bereits seit langem aus Unternehmen, Verwaltungen, Armeen und Krankenhäusern kennen. Während die Zentrale darüber verzweifelt, dass das Personal "unten" in der Organisation keinen Blick für das große Ganze hat, klagen die "unten" über den ständig wachsenden Wasserkopf an der Spitze der Organisation, der zwar zu allem eine Meinung, aber von nichts eine Ahnung hat.
Man mag den mit der "Organisationswerdung" verbundenen Kompetenzzuwachs der Hochschulleitungen und die daraus entstehende neue Konfliktlinie gut oder schlecht finden, aber eines ist klar: Mit einem "Autonomiezuwachs", einem "Freiheitsgewinn" oder gar einer "Deregulation" für die dezentralen Einheiten, die an den Hochschulen die eigentlichen Leistungen in Forschung und Lehre erbringen, hat das absolut nichts zu tun – eher im Gegenteil.
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