Personen am Eingang einer Universität
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Hochschulorganisation
Die Uni ist keine Organisation wie jede andere

Hochschulen stellen keine Großorganisationen im klassischen Sinn dar. Sie sind unterschiedlich organisiert. Drei prominente Modelle im Vergleich.

Von Marcel Schütz 08.12.2019

Verwaltungsreformen, Studienreformen, Besoldungsreformen: die Liste der Eingriffe ins Hochschulwesen ist in knapp zwei Jahrzehnten stetig gewachsen. Dies blieb nicht ohne Folgen für die Optik der Hochschulen. Immer wieder steht die Frage im Raum, was den Betrieb von Forschung und Lehre so charakteristisch macht.

Debatten über die Rolle der Hochschulen in der Gesellschaft deuten auf ein gewisses Beschreibungsproblem hin. Einerseits sind Hochschulen formale Organisationen vertrauter Art. Ihnen liegen gesellschaftlich etablierte Merkmale von Organisationen zugrunde. Dazu zählen die Ausbildung von Zwecken (Forschung, Lehre, Transfer), die Begründung einer Hierarchie beziehungsweise Instanzenform (Gliederung in Fakultäten, Institute, Professuren und Verwaltung) und schließlich Mitgliedschaften (wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Personal). Andererseits ist Organisation nicht gleich Organisation, gibt es doch mannigfaltige Hinweise dahingehend, dass Hochschulen sich von anderen Großorganisationen markant unterscheiden.

Dass man überhaupt von Hochschulen als Organisationen spricht, ist selbst das Resultat einer Entwicklung. Das traditionelle Verständnis der Hochschule, insbesondere der Universität, ist jenes der Institution: einer selbstverständlichen gesellschaftlichen Instanz. Die Forschung hat aber darauf hingewiesen, dass sich Hochschulen, wie auch Behörden und der soziale Sektor, in einem Prozess der Organisationskonstruktion befinden (Brunsson/Sahlin-Andersson 2000). Man könnte auch von "Verorganisierung" sprechen. Damit ist gemeint, dass Hochschulen sich als entscheidungsfähige Akteure "herstellen". Budget- und Personalrechte sowie neue Managementkonzepte stehen für diese Entwicklung. Aus der Wirtschaft entlehnte Strukturinnovationen konnten viel Diskussion verursachen, siehe zum Beispiel jene zum Hochschulrat unter anderem in dieser Zeitschrift (Kuropka 1999).

"Eine relative Unordnung hat Wissenschaftler immer wieder beflügelt, über ihren Betrieb grundlegender nachzudenken."

Eine relative "Unordnung" der Hochschulen hat Wissenschaftler immer wieder beflügelt, über ihren Betrieb grundlegender nachzudenken. Drei der vielleicht prominentesten organisations-wissenschaftlichen Optiken – professionelle Bürokratie und Expertenorganisation, organisierte Anarchie, Institutionenansatz sowie lose Koppelung – sollen knapp nachskizziert werden.

Mit der Beschreibung von Hochschulen als professionelle Bürokratien wird die exklusive Rolle beziehungsweise Figur der Wissenschaftler unterstrichen. Als Expertenorganisationen weisen Hochschulen eine Neigung zu ausgeprägten Fachkulturen, personeller Autonomie und Selbstkontrolle auf. Die Bindung der Experten an die Hochschule ist typischerweise nicht allzu fixiert, da sich Experten unterschiedlichen berufsständischen Netzwerken und Verbänden zugehörig sehen (scientific/ professional community). Expertenorganisationen "locken" Personen mit Möglichkeiten, ihre Arbeit mit gewisser "Beinfreiheit" und zudem auskömmlich finanziert betreiben zu können. Nach dieser Beschreibung ist davon auszugehen, dass insbesondere großzügige Förderstrukturen, gewachsene Reputation, gute Visibilität und ertragreiche kollegiale Kooperationen eine hohe Anziehungskraft entfalten. Für die Interaktion zwischen den Forschern spielen Sozialisation, Vernetzung und Ebenbürtigkeit eine bedeutende Rolle (Selbstverwaltung, starke Abhängigkeit der Organisation von personell gebundenen Motivationen und Leistungsbeiträgen, standesförmige Beurteilung).

Lösungen suchen Probleme

Eine weitere Lesart widmet sich den Eigenheiten der akademischen Entscheidungsbildung. Im Modell der organisierten Anarchie ist die Identifikation von Problemen und Aufträgen regelmäßig schwach und wenig verbindlich ausgeprägt (problematic preferences). Erst im Prozess des Diskutierens ergeben sich präzisere Vorstellungen. Dies reicht so weit, dass die Beteiligten über die Strukturierung ihres Tuns zuweilen selbst nur rudimentär im Bilde sind (unclear technology). Die Folgen dessen sind Neigung zum Experimentieren, Überbrücken und Tüfteln, ohne aber zwingend zu einem verbindlichen Verständnis zu gelangen. Schließlich erzeugen die akademischen Prozeduren gerade für Gremien die bekannte Redundanz. Es wechseln wiederholt die Entscheider und daher halten sich ihre Verfügbarkeit und ihr Engagement in Grenzen (fluid participation). Aus dieser Gemengelage ist das sogenannte "Garbage-Can-Modell" entstanden. Wie Schnipsel in einem Papierkorb geraten Problemfälle, Lösungsansätze, Situationen und Interessen so durch- beziehungsweise aneinander, dass das Ergebnis vielmals gar nicht auf rationalem Weg beruht, sondern auf Gelegenheiten, Gewohnheiten sowie begrenzten Informationen (bounded rationality). Es können sogar erst geeignete Lösungen und dann die dazu sich anbietenden Probleme gefunden werden.

Mit einer dritten, institutionellen Perspektive (Neo-Institutionalismus) lässt sich auf die Entwicklung der akademischen Normen (Institutionen/Institutionalisierung) abstellen. Hochschulen weisen international eine beachtliche Angleichung auf. Damit verbunden ist die weltweite Setzung bestimmter Standards einer akademischen Einrichtung. Verschiedene gesellschaftliche Erwartungen an Hochschulen spiegeln sich offensichtlich auch in ihrer Ausprägung wider, wodurch die Hochschulen letztlich Legitimation sicherstellen. Unterschiedliche Interessengruppen der Gesellschaft finden in der inneren Ordnung der Hochschule ihre Beachtung. Hochschulen installieren dazu Verfahren, die Qualität und Professionalität anzeigen. Ob diese Verfahren tatsächlich immer genuin wissenschaftlichen Vorstellungen entsprechen, kann sekundär erscheinen, wenn es darum geht, wichtige gesellschaftliche Legitimation zu erfahren. In diesem Zusammenhang wird auch von der Entkoppelung gesprochen: die inneren Abläufe werden immerhin ein Stück weit von der Darstellung nach außen unterschieden.

"Unterschiedliche Interessengruppen der Gesellschaft finden in der inneren Ordnung der Hochschule ihre Beachtung."

Der Begriff der "losen Koppelung" ist bereits mit einem einflussreichen Aufsatz des US-amerikanischen Psychologen Karl E. Weick bekannt geworden. Gemeint ist die eher schwache Verbindung zwischen Leitung, Fachbereichen und Wissenschaftlern sowie in der Folge die dezentrale Ausbildung von Fachidentitäten. Schon innerhalb einer Hochschule sind Entkoppelungen zu erwarten. So entwickeln verschiedene Experten verschiedene Deutungen und Praktiken des Auslegens und Abweichens von organisatorischen Regeln. Zugespitzt kann es hierbei im Innern und nach Außen zu einer "Legitimationsfassade" kommen. Dieser Punkt hat in den vergangenen Jahrzehnten offenkundig für viel Kontroverse gesorgt. Denn der institutionale Ansatz eignet sich zur genauen Beobachtung von Hochschulreformen, die sich im Spannungsfeld innerer und äußerer Ansprüche ereignen.

Einige Folgerungen

Die Zugänge, nur kurz umrissen, artikulieren Vorbehalte gegenüber einer "rationalitätsgläubigen" Beschreibung der Hochschulorganisation. Die Ansätze arbeiten dazu wichtigen informelle, also nicht entschiedene und gegebenenfalls nicht zu entscheidende Eigenheiten des akademischen Betriebs heraus. Zwar legt immerhin die "Universität" den Gedanken organisatorischer Einheit nahe, doch steht gerade ihre Beschaffenheit dem entgegen. Ein Befund, der für private und Fachhochschulen erfahrungsgemäß mehr oder weniger abzuschwächen ist, wobei auch in diesen Einrichtungen mit fortschreitender Größe "Veruniversitärisierungen" zu beobachten sind.

Ferner gibt es Indizien, dass diese Beschreibungen auch Einschränkung erfahren. Zum einen haben hochschulorganisatorische Reflexionen ihren Ausgangspunkt traditionell primär in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachbereichen. Zum anderen konnte die Ausdifferenzierung des deutschen Hochschulwesens in den letzten 20 Jahren bewirken, dass die akademische Organisation auch von lokalen Besonderheiten (siehe sogenannte Exzellenz­uni­versitäten) geleitet wird.

Eine Umstellung der Förderpolitik, der Mittelausstattung, der internationalen Einbindung und der Projektstrukturen bleibt nicht ohne Folgen. Neue Managementkonzepte irritieren die alte "Unordnung". Die Ausdifferenzierung in öffentliche, private und Stiftungshochschulen hat auch nicht unbedingt zu einer proportionalen Ausstattung von Rechten und Ressourcen geführt. So können Ansprüche an die Kontrolle nicht-staatlicher Hochschulen steigen, auch wenn deren Abläufe jenen staatlicher Hochschulen nachgebildet sind. Die Forschungsförderung folgt im Übrigen unterschiedlichen Landespolitiken, die nicht allen Hochschultypen zugute kommen. Grenzen einer "professionellen Bürokratie" vor Ort sind durchaus gegeben.

Ein Hauptaugenmerk der Diskussion um Hochschulen als Organisationen scheint gegenwärtig auf Personalfragen zu liegen. Die Stichworte sind sattsam bekannt: Befristungspraxis, Wege zur Professur, Nachwuchsförderung. Fast scheint es so, als seien Hochschulen eben doch wie "gewöhnliche" Wirtschafts- oder Verwaltungsbetriebe zu erwarten. Hierzu schwelt jüngst ein Streit, nachdem ein Befristungspapier der Kanzlerinnen und Kanzler der deutschen Universitäten Kritik erfahren hat. Darin heißt es: "Das Beschäftigungssystem der Universitäten im wissenschaftlichen Bereich ist primär ein Qualifizierungssystem und darf daher nicht mit den gleichen Maßstäben wie Beschäftigungsverhältnisse in der Wirtschaft und der Verwaltung gemessen werden." (Bayreuther Erklärung 2019, S. 2). Tatsächlich scheint mir dieser Punkt instruktiv zu sein. Hochschulen, allzumal Universitäten, heben sich vom Stellendesign des öffentlichen Dienstes und ohnehin der freien Wirtschaft ab. Sie kennen auch keine Personalentwicklung im engeren Sinne, sondern delegieren diese an die Wissenschaftler, die sich über Stipendien, Publikationen und Kooperationen "selbst zu entwickeln" haben.

"Wissenschaft weist die Neigung auf, sich so zu organisieren, als sei selbst das noch eine Art Wissenschaft."

Diese Beanspruchung von Personen bei Ungewissheit über den eigenen Werdegang scheint ein Verhalten aus Zurückhaltung und Eigenständigkeit zu motivieren. Aus vorsichtiger Bindung zum Betrieb zieht die Wissenschaft wiederum eigene Vorteile, werden Wissenschaftler doch bisweilen zu Gesichtern ihrer Hochschule und Fakultäten. Sie halten sich jedoch gegenüber Organisationsfragen regelmäßig in einer distanzierten Bereitschaft. Administrativen Einwirkungen auf sie wird mit einer Palette an Reaktionen begegnet: Ausgehend von entschiedener Ablehnung, über Vermeidung oder Ausweichverhalten bis in "qualifizierte Nachgiebigkeit" (Overberg 2018, S. 81, Anderson 2008). In gewisser Weise ist zu resümieren, dass die Wissenschaft die Neigung aufweist, sich so zu organisieren, als sei selbst das noch eine Art Wissenschaft.

Doch diese Beobachtung ist nur der kleine Ausschnitt einer faszinierenden Fülle kluger Beschreibungen, die von Hochschulen angefertigt wurden und weiterhin Grund zur Lektüre bieten.