Vater arbeitet an einem Laptop, Kinder malen mit Kreide an einem Spielzeuglaptop
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Familie und Beruf
"Förderangebote für Frauen haben einen Nebeneffekt"

Eltern haben in der Coronazeit alle Hände voll zu tun. Uni-Präsidentin Susanne Menzel-Riedl ist selbst Mutter zweier Kinder. Welche Antworten hat sie?

Von Katrin Schmermund 05.08.2020

Forschung & Lehre: Frau Menzel-Riedl, während der Corona-Pandemie sind berufstätige Eltern extrem eingespannt. Sie sind selbst Mutter zweier Kinder. Wie haben Sie sich während der Pandemie organisiert?

Susanne Menzel-Riedl: Auch bei uns waren die Kinder ab März von jetzt auf gleich zu Hause. Mein Mann konnte ins Homeoffice gehen, ich teilweise. Wir haben an der Universität Teams gebildet und Aufgaben so aufgeteilt, dass ich nur an bestimmten Tagen an der Universität sein musste. Homeoffice-Tage waren aber komplett mit Videokonferenzen belegt – nicht selten mit zwölf Stunden ohne Pause. Daher hatte auch ich diese Momente, in denen meine Kinder während der Videokonferenz im Bild rumtobten und ich am Homeschooling halb verzweifelt bin. In der ersten und zweiten Klasse, in der meine Kinder sind, werden die Grundlagen für die weiteren Lehrinhalte gelegt. Da muss man schon genau hinschauen. Wir haben versucht, das zusammen zu schultern. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass mein schlechtes Gewissen, wenn etwas nicht so lief wie geplant, am größten war.

F&L: Wie sind Sie damit umgegangen?

Susanne Menzel-Riedl: Oft war ich diejenige, die dafür sorgen wollte, dass wir zu Hause nicht im Chaos versinken: Schnell noch auf dem Weg vom Wohnzimmer zur Küche die Wäsche einsammeln, mit Dienstgespräch am Ohr die Spülmaschine ausräumen. Das war nicht gut, auch nicht für mich, und mein Mann hat mich mehr als einmal gefragt, warum ich die Sachen nicht einfach für ihn liegen lasse. Recht hat er!

Professorin Susanne Menzel-Riedl
Professorin Susanne Menzel-Riedl ist seit Oktober 2019 Präsidentin der Universität Osnabrück. Mit 43 Jahren ist sie die jünste Frau an der Spitze einer Hochschule in Deutschland. Universität Osnabrück/Simone Reukauf

F&L: Bei Ihnen hätte ich angenommen, dass alles klar aufgeteilt ist…

Susanne Menzel-Riedl: Ich mache mir da oft unnötig Stress. Trotzdem habe ich meine Berufstätigkeit niemals in Frage gestellt. Ich habe mir während meiner wissenschaftlichen Karriere immer Frauen vor Augen geführt, die erfolgreich sind und Beruf und Familie unter einen Hut bekommen haben. Das hat mir geholfen, nicht in die Falle zu geraten, bei dem Gedanken an die Familiengründung für mich direkt Teilzeit einzuplanen, weil es scheinbar nicht anders funktioniert. Ich glaube, dass sich Frauen die Konsequenzen einer solchen Entscheidung möglichst früh vor Augen führen und dann bewusst entscheiden sollten, was sie für sich wollen.

F&L: Alleinerziehende können sich die Aufgaben mit niemandem teilen. Wie unterstützen Sie als Hochschule?

Susanne Menzel-Riedl: Vonseiten der Universität haben wir seit einiger Zeit die so genannte Vertrauensarbeitszeit im wissenschaftlichen Dienst. Damit haben wir schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie eine gewisse Flexibilität in der Arbeitsgestaltung gegeben. Beschäftigte können auch von zu Hause arbeiten. Den Bibliotheksdienst haben wir während der Pandemie so aufgestellt, dass Beschäftigte während der Arbeit aus dem Homeoffice Bücher zugestellt bekommen und dadurch in ihrer Literaturrecherche nicht eingeschränkt sind. Viele Kommunen und Städte haben Notbetreuungsplätze geschaffen.

F&L: Viele Eltern hatten keinen Notbetreuungsplatz für ihre Kinder. Haben Sie Verträge verlängert?

Susanne Menzel-Riedl: Die Forderung nach pauschalen strukturellen Lösungen steht schnell im Raum. Dazu gehören neben Vertragsverlängerungen auch Budgetaufstockungen, mit denen zum Beispiel Hilfskräfte eingestellt werden können. Bei Alleinerziehenden kann das eine sinnvolle Lösung sein. Ein Antrag dafür muss begründet sein. Bei einer Finanzierung über Drittmittel müssen die Förderer reagieren. Richten sich Angebote explizit an Frauen hat das allerdings Nebeneffekte, die mir nicht gefallen. Wenn Frauen für die Familienzeit stärker gefördert werden als Männer, werden viele Familien pragmatisch entscheiden, dass die Frauen die Care-Arbeit machen. Zum anderen stoßen wir Männer vor den Kopf, die vorbildmäßig vorangehen und sich in der Kinderbetreuung engagieren.

F&L: Die Förderung kann sich aber auch an Frauen wie Männer richten.

Susanne Menzel-Riedl: Strukturelle Maßnahmen für Frauen und Männer scheinen ebenfalls einen Haken zu haben: Eine amerikanische Studie von Antecol et al. (2016) hat gezeigt, dass nach einer pauschalen Verlängerung des Tenure Tracks um ein Jahr für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern 22 Prozent weniger Frauen erfolgreich die Evaluation abgeschlossen haben, während der Anteil bei den Männern gestiegen ist. Die Ergebnisse stärken meinen Eindruck, dass Frauen bei solchen Maßnahmen stärker die Familienverantwortung übernehmen als ihre männlichen Kollegen. Als Arbeitgeberin müssen wir also genau hinschauen, damit wir nicht das Gegenteil von dem bewirken, was wir erreichen wollen.

"Haben sich Frauen mit gesellschaftlichen Erwartungen auseinandergesetzt, fallen nicht so schnell in Rollen hinein, die sie nicht annehmen wollen."

F&L: Wie gelingt das?

Susanne Menzel-Riedl: Ich halte es für wichtig, dass wir an der Universität mit den Beschäftigten sprechen und gemeinsam nach individuellen Lösungen suchen. Dabei sollen Frauen auch überlegen, welche Bedingungen sie im Homeoffice erwarten. Haben sie keine Kinderbetreuung, sollten sie sich Gedanken darüber machen, wie sie damit umgehen wollen und wie sie sich in einer Partnerschaft die Aufgaben gut aufteilen. Ich glaube, dass Frauen noch immer schneller ein schlechtes Gewissen gemacht wird als Männern, wenn sie tagsüber wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen – die Folgen kenne ich wie erwähnt nur zu gut. Haben sich Frauen mit gesellschaftlichen Erwartungen auseinandergesetzt, die sie gegebenenfalls unbewusst begleiten, sind sie sensibilisierter und fallen nicht so schnell in Rollen hinein, die sie nicht annehmen wollen.

F&L: Individuelle Gespräche kosten deutlich mehr Zeit als pauschale Lösungen. Können Sie überhaupt mit allen sprechen?

Susanne Menzel-Riedl: Wir haben zumindest keine Beschwerden gehört, dass Beschäftigte vergeblich versucht hätten, einen Gesprächstermin zu erhalten. Als Hochschulleitung haben wir mit den Dekanaten über das Thema gesprochen. Dort sind viele Gespräche geführt worden. Die Dekanate sind wie die einzelnen Arbeitsgruppen oft näher an den Personen dran und können diese oftmals sensiblen Gespräche daher besser führen. Auch das Gleichstellungsbüro ist eine wichtige Anlaufstelle. Zusätzlich arbeiten wir daran, unser Mentoring und unsere Netzwerke an der Hochschule noch weiter zu verbessern, damit sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler austauschen und unterstützen können. Ich wünsche mir, dass Frauen diese künftig noch stärker nutzen.

Weiterentwicklung der Universität Osnabrück

Susanne Menzel-Riedl will an der Universität Osnabrück die Kommunikation verbessern und die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschule stärken. Ein wöchentlicher Newsletter informiert Beschäftigte und Studierende und enthält persönliche Geschichten, die die Hochschule nahbarer machen und den Teamspirit stärken sollen. Rundmails schreibt sie selbst.

In Veranstaltungen sollen Bürgerinnen und Bürger an die Universität kommen und ihre Fragen stellen können. Damit will Menzel-Riedl wissenschaftsfeindlichen Parolen entgegenwirken und die Hochschule als offenen Raum präsentieren. Damit sich die Gesellschaft abgebildet fühlt, soll die Osnabrücker Universität noch internationaler und diverser werden.