Eine Aufnahme von Ina Brandes (CDU), Kultur- und Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, 2023.
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Nordrhein-Westfalen
Hochschulen wollen Machtmissbrauch bekämpfen

Bundesweit wurden zuletzt erneut Vorwürfe von Machtmissbrauch an Unis bekannt. NRW geht dagegen vor – glaubt aber nicht an ein strukturelles Problem.

27.09.2023

Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen (NRW) wollen in ihrem Bundesland stärker gegen Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten in der Wissenschaft vorgehen. Die drei Landesrektorenkonferenzen für Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Kunst- und Musikhochschulen verständigten sich in einer Selbstverpflichtung auf konkrete Maßnahmen. 

Das NRW-Wissenschaftsministerium will die Initiative mit einer Änderung des Hochschulgesetzes flankieren. Außerdem soll eine hochschulübergreifende unabhängige Anlaufstelle für Opfer von Machtmissbrauch geschaffen werden. Das kündigten NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) und die Landesrektorenkonferenzen am Dienstag in Düsseldorf an.

"Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen müssen sichere Orte sein", so Brandes. Die Menschen müssten an dem Ort, wo sie lernten, forschten und lehrten respektvoll und wertschätzend behandelt werden. Es gebe aber an Hochschulen "asymmetrische Beziehungen" und ein "Machtgefälle". 

Unter anderem sollen künftig flächendeckende Betreuungsvereinbarungen für Promotionsvorhaben die Rechte und Pflichten von Doktorandinnen und Doktoranden sowie deren Betreuern festschreiben. In Fällen von Machtmissbrauch sollen Opfer und Zeugen ermutigt werden, sich zu melden.

Wie sieht Machtmissbrauch an deutschen Hochschulen aus?

Machtmissbrauch an Universitäten reicht von willkürlicher Übertragung von Aufgaben an Mitarbeitende über die systematische Überlastung mit Arbeit bis hin zur Aneignung von geistigem Eigentum, sexueller Belästigung und Nötigung. Zuletzt sorgten in NRW Vorwürfe von Machtmissbrauch an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen sowie an der Universität Köln für Schlagzeilen.

Eckpunkte der Hochschulgesetznovelle, die kommendes Jahr verabschiedet werden soll, sehen unter anderem vor, dass bei der Promotion Betreuungsvereinbarungen verpflichtend werden. Promotionen sollen künftig in der Regel durch unterschiedliche Personen betreut und begutachtet werden. "Dadurch werden wir die Möglichkeiten, Macht zu missbrauchen, erheblich einschränken", sagte Brandes.

Als Sanktion sei etwa ein öffentliches Rügerecht geplant, wenn ein Doktorvater Forschungsergebnisse von Promovierenden ohne Kennzeichnung übernehme. Solch eine Sanktion hätte Auswirkungen auf die Reputation des oder der Gerügten. Das derzeitige Disziplinarrecht sei bei wissenschaftlichem Fehlverhalten nicht immer anwendbar.

Trotzdem bedienen sich Hochschulleitungen bereits jetzt des Disziplinarrechts. Neben Köln und Gelsenkirchen geriet auch die Humboldt-Universität Berlin (HU) in die Schlagzeilen, die einem Dozenten wegen Vorwürfen sexueller Belästigung kündigte. Gegen einen weiteren Mitarbeiter der HU, der auch an der Freien Universität Berlin (FU) lehrt, läuft derzeit ein Disziplinarverfahren.

Ist Machtmissbrauch an Hochschulen ein strukturelles Problem?

Uneinigkeit scheint aber darüber zu herrschen, ob es sich bei Machtmissbrauch an Hochschulen um ein strukturelles Problem oder eher um Einzelfälle handele. Schon im April hatten Dutzende Professorinnen und Professoren das deutsche Wissenschaftssystem kritisiert. Es weise Strukturen auf, die eine "Einladung zum Machtmissbrauch" darstellten, schrieben die Forschenden in einem Offenen Brief an Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die zuständigen Ministerien der Länder sowie die Mitglieder der Hochschulrektorenkonferenz. Konsequenzen habe der Machtmissbrauch außerdem nur äußerst selten, selbst wenn Studierende, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdocs sich an den entsprechenden Stellen beschweren würden. 

Dass ein strukturelles Problem vorliege, stritt Brandes in einer Stellungnahme anlässlich der Pressekonferenz am Dienstag allerdings ab. "Machtmissbrauch im wissenschaftlichen Zusammenhang ist kein besonderes strukturelles Problem, sondern individuelles menschliches Versagen", so die Ministerin. "Jeder Einzelfall aber ist ein Fall zu viel."

dpa/cle