Eine fallende US-Flagge vor blauam Himmel.
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Vereinigte Staaten von Amerika
Warum ist ein Auslandsstudium in den USA weniger attraktiv?

Die USA sind bei internationalen Studierenden zuletzt weniger beliebt gewesen. Welche Gründe hat dies?

Von Stefan Altevogt 19.09.2022

Vorweg die wesentliche Einschränkung: Es geht nicht um "die" US-amerikanische Hochschullandschaft mit ihren gut 4.500 Einrichtungen und einem Internationalisierungsgrad von etwa fünf Prozent, was im internationalen Vergleich allenfalls für einen Platz im Mittelfeld reicht, deutlich hinter Australien (28 Prozent), Kanada (16 Prozent) oder Deutschland (10 Prozent). Es geht vielmehr um Einrichtungen wie die New York University (NYU), bei der die dort fast 30 Prozent "Internationalen" einen erheblichen Teil zur Deckung der Kosten beitragen. Die NYU und weitere international bekannte Hochschulen sichern den USA im weltweiten Wettbewerb um die mittlerweile sechs Millionen international mobilen Studierenden mit knapp einer Million in absoluten Zahlen immer noch den größten "Marktanteil" und tragen zur Wirtschaftsleistung des Landes derzeit knapp 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr bei.

Dieser Marktanteil liegt aktuell allerdings nicht einmal mehr bei 20 Prozent. In besseren Zeiten erreichten die USA einen Anteil von über 30 Prozent, 2001 immer noch 28 Prozent, 2017 24 Prozent. Anders ausgedrückt: Hätten die USA ihren Marktanteil an der sehr stark gewachsenen Zahl international mobiler Studierender auf dem einstigen Niveau halten können, würde die Hochschulbildung heute zu den zehn, wenn nicht gar acht wichtigsten Exportgütern des Landes zählen.

Steht Trump hinter dem Attraktivitätsverlust?

Warum dies nicht so ist, hat zahlreiche Gründe, teils extern, teils strukturell, teils hausgemacht. Zuletzt tauchte die Frage auf, welche Rolle eine mögliche zweite Amtszeit von Ex-Präsident Donald Trump im Ursachenbündel spielen könnte. Dies lädt freilich zur Spekulation ein: Wäre die Entwicklung des US-amerikanischen Marktanteils an den international mobilen Studierenden wesentlich anders verlaufen, hätte nicht Trump, sondern Hillary Clinton 2016 die Stimmenmehrheit im Electoral College gewonnen? Die Mehrheit der Wählerstimmen ging damals ja an sie.

Dazu bezog "NAFSA: Association of International Educators" im Vorfeld der Wahlen von 2020 in einem Beitrag der New York Times Stellung und summierte die Kosten des "Trump-Effekts" auf die internationale Attraktivität des Studienstandorts USA über die vier Jahre seiner Amtszeit hinweg auf knapp zwölf Milliarden US-Dollar. Es ging im Sommer 2020 um von der Trump-Administration geplante Verschärfungen der Regelungen zur Vergabe von Studien- und Forschungsvisa für die USA. Das zentrale Argument war, dass sich die USA damit ohne Not erhebliche Nachteile im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe einhandeln würden. Die USA sollten weiterhin als ein Land der "Open Doors" gelten dürfen, dem sprechenden Titel des vom Institute of International Education (IIE) jährlich herausgegebenen Berichts zur Internationalisierung der US-Hochschullandschaft. An dessen Zahlen lassen sich sehr deutlich epochale Ereignisse wie die Anschläge vom 11. September 2001 ablesen – mit einer zeitlichen Verzögerung kehrten sich seinerzeit Zuwachsraten von über sechs Prozent in Verluste von über zwei Prozent um.

Der Regierungswechsel von Obama zu Trump mag nach 2016 dann aufgrund Trumps populistisch-schriller Rhetorik ebenfalls dazu beigetragen haben, Zuwachsraten von bis zu zehn Prozent in Verluste von knapp zwei Prozent umzukehren.

Perspektiven für Absolventinnen und Absolventen in den USA

Die Zahlen zeigen auch, woher Teile der Zuwächse in den "guten Jahren" gegen Ende der Obama-Administration kamen, nämlich aus Zuwächsen in der Klassifikation "OPT". Die Abkürzung steht für "Optional Practical Training". Darunter werden vom State Department und damit auch vom IIE internationale Absolventinnen und Absolventen von US-Hochschulen erfasst, die noch auf ihren Studierendenvisa für einen gewissen Zeitraum berufspraktische Erfahrungen sammeln dürfen. Dieser Zeitraum war lange auf zwölf Monate beschränkt und ist nach einigem Streit Anfang 2016 für Absolventinnen und Absolventen in MINT-Fächern auf bis zu 36 Monate verlängert worden. Im Studienjahr 2020/21 waren über 22 Prozent der internationalen Studierenden in den USA nicht mehr an Hochschulen eingeschrieben, sondern sammelten berufspraktische Erfahrungen im Rahmen eines OPT. 2008/09 lag dieser Anteil noch unter zehn Prozent.

Die Absolventinnen und Absolventen hoffen, während des OPT so unentbehrlich für ihre Arbeitgeber zu werden, dass diese danach für sie ein Experten-Visum (H1-B) oder gleich ein Immigrationsvisum (Green Card) beantragen. Die "Verlässlichkeit von Karriereperspektiven" ist nicht nur für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland von erheblicher Bedeutung für die Standortwahl, sondern auch für sehr viele international mobile Studierende.

Die internationale Konkurrenz wird größer

Auch externe Gründe stehen hinter dem Attraktivitätsverlust der USA für internationale Studierende. Das sind im Wesentlichen die Verbesserungen von Bildungsangeboten für internationale Studierende in anderen Gegenden der "Anglosphere". Dabei wäre traditionell das Vereinigte Königreich zu nennen, Anfang der 2000er Jahre wurde Australien das Paradebeispiel und derzeit ist Kanada zu einem der größten Konkurrenten der USA um international mobile Studierende geworden. In Kanada darf man angesichts einer Bevölkerung von derzeit 37 Millionen und dem Ziel, sie mittelfristig auf das Doppelte wachsen zu lassen, von Immigration sprechen, man darf Immigration durch ein Punktesystem regeln und man darf zusammen mit Studienabschlüssen in gewünschten Fächern (MINT-Fächer sind gern gesehen) gleich Immigrationsvisa vergeben. Hier liegt die Schnittstelle zu den internen Gründen, denn in den USA wäre derzeit aktiv gestaltete Immigrationspolitik politischer Selbstmord. Das OPT-"Sonderangebot" an MINT-Absolventinnen und -Absolventen erfolgte daher auch unter dem Radar.

Erschwerend kommt hinzu, dass man sich in den USA überparteilich auf China als Konkurrenten und sehr wahrscheinlich zukünftigen Feind geeinigt hat, was auf potenzielle Studierende aus China – immerhin trotz eines Rückgangs im zweistelligen Prozentbereich zuletzt noch fast 35 Prozent aller internationalen Studierenden in den USA – abschreckend wirken dürfte. Einen ähnlichen Effekt könnte die Schließung von Konfuzius-Instituten an zahlreichen Hochschulen haben sowie die China-Initiative des Justizministeriums: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, oft chinesisch-stämmig, wurde vorgeworfen, ihre Interessen in China und ihre finanziellen Verflechtungen nicht offengelegt zu haben. Die von der Trump-Regierung begonnene Initiative wurde erst im Februar 2022 vom Justizministerium eingestellt. Die Abhängigkeit international hochkompetitiver US-Hochschulen von Deckungsbeiträgen internationaler Studierender aus China ist als strukturelles Problem längst erkannt. Sie ist allerdings auch ein Ergebnis der relativen Leichtigkeit, mit der in der Vergangenheit nicht zuletzt dank einer sehr professionellen Rekrutierung Studierende aus dem Reich der Mitte angeworben werden konnten. Entsprechend schwer fällt es, eine in der Vergangenheit erfolgreiche Strategie für die Zukunft anzupassen.

Hausgemachte Gründe hinter dem Ansehensverlust

Schusswaffengewalt im Umfeld von US-Hochschulen mag in Einzelfällen auch eine Rolle bei der Standortauswahl für einen Studienaufenthalt im Ausland spielen. Ähnliches gilt für mitunter xenophobe oder gar rassistisch erscheinende Exzesse im sogenannten "Greek Life", also in den "Fraternities", den Studentenvereinigungen, oder die Tatsache, dass etwa 40 Prozent der Bevölkerung  "alternativen Realitäten" anhängen – etwa der, dass es bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Dass die US-Bundespolitik aufgrund prozeduraler Bestimmungen im Senat weitgehend in einer Pattsituation verharrt, mag ebenfalls ein Faktor sein. Während der Supreme Court durch eine Reihe von Urteilen (hier vor allem Schwangerschaftsabbruch, Waffenrecht, Zuständigkeit der Bundesregierung in Fragen des Klimaschutzes) einen Rechtsruck in der Gesellschaft vermuten lässt, ist die progressive Herangehensweise der Biden-Administration, das "Build back better", fast zum Stillstand gekommen.

Die Hauptgründe für den gegenwärtigen internationalen Attraktivitätsverlust von US-Hochschulen liegen indessen bei den Hochschulen selbst. Zu ihnen, den "hausgemachten" Gründen, zählt die falsche Selbsteinschätzung, dass die USA bezüglich der Attraktivität auf international mobile Studierende "World Leader" seien. Etwas anderes kann man sich gar nicht vorstellen und darum ist schwer einsehbar, dass die USA ein für das 21. Jahrhundert plausibles Rational bräuchte, um attraktiv für internationale Studierende zu sein. Das Rational könnte, wie etwa in Deutschland, internationales Ansehen und mögliche Handelsinteressen sein, oder – siehe Kanada – die gezielte Immigrationsförderung von internationalen Absolventinnen und Absolventen kanadischer Hochschulprogramme. Es müsste aber mehr sein als nur der Verweis auf eine nur noch imaginierte Spitzenposition einiger weniger international bekannter US-Hochschulen.