Auszug aus einem Wörterbuch zum Stichwort "Arbeitszeit", dieses ist markiert
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Arbeitszeiterfassung
Keine Pflicht zum "Stempeln" auf der Professur

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitgeber ein System zur Arbeitszeiterfassung einrichten müssen. Was bedeutet dies für Professoren?

Von Vanessa Adam 02.02.2023

Die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung leitete das Bundesarbeitsgericht (BAG) aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) her. Die Entscheidung kam auch für viele Fachleute überraschend. Zuvor war weitgehend davon ausgegangen worden, dass das Europarecht eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung beinhalte, diese aber noch in das deutsche Recht umgesetzt werden müsse.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits in seinem Urteil vom 14. Mai 2019 (Az.: C-55/18 – CCOO/Deutsche Bank SAE) entschieden, dass aufgrund der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003) eine Pflicht der EU-Mitgliedstaaten besteht, die dortigen Arbeitgeber dazu zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Eine gesetzliche Regelung, die eine ausdrückliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung enthält, gibt es in Deutschland bisher nicht. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag 2021-2025 (S. 68) auf die Fahnen geschrieben, die Auswirkungen der Entscheidung des EuGH auf das nationale Recht zu prüfen mit dem Ziel, flexible Modelle wie Vertrauensarbeitszeit weiterhin zu ermöglichen.

Was der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts besagt

Der Beschluss des BAG beruhte auf der Klage eines Betriebsrats, der die Einführung eines elektronischen Systems zur täglichen Arbeitszeiterfassung im Betrieb durchsetzen wollte. Ein solches Recht kann jedoch betriebsverfassungsrechtlich nur bestehen, wenn die betreffende Angelegenheit nicht bereits gesetzlich geregelt ist. Über diesen "Umweg" prüfte das BAG auch das deutsche ArbSchG. Das ArbSchG enthält unter anderem eine Verpflichtung des Arbeitgebers, organisatorische Maßnahmen zum Arbeitsschutz zu treffen und hierfür die erforderlichen Mittel bereit zu stellen. Das beinhaltet aus Sicht des BAG auch die Pflicht, ein System zur Erfassung der täglichen, durch die Arbeitnehmer geleisteten Arbeitszeit einzuführen, welches Beginn und Ende und damit auch die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst.

Die Arbeitszeiterfassung muss aber nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen. Im Beschluss des BAG (Rn. 56) heißt es: "Vielmehr können beispielsweise – je nach Tätigkeit und Unternehmen – Aufzeichnungen in Papierform genügen. Zudem ist es, auch wenn die Einrichtung und das Vorhalten eines solchen Systems dem Arbeitgeber obliegt, nach den unionsrechtlichen Maßgaben nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnung der betreffenden Zeiten an die Arbeitnehmer zu delegieren".

"Die Arbeitszeiterfassung muss nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen."

Damit hat das BAG nicht nur die Klage des Betriebsrats zurückgewiesen, sondern auch eine Grundsatzentscheidung zur Arbeitszeiterfassung gefällt. Was bedeutet dies aber für die Arbeitgeber in Deutschland und speziell für die Professorinnen und Professoren?

Gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch für Professorinnen und Professoren?

Aus dem BAG-Beschluss wird deutlich, dass eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung nicht zwingend bedeuten muss, dass ein elektronisches Zeiterfassungssystem oder gar "Stempelkarten" eingeführt werden müssten. Das BAG erlaubt auch Aufzeichnungen der Arbeitszeit in Papierform. Das ermöglicht auch ein handschriftliches Notieren der erbrachten Arbeitszeiten. Hinzu kommt, dass die Aufzeichnungen nicht zwingend durch den Arbeitgeber, die Personalabteilung oder die fachvorgesetzte Person erfolgen müssen. Diese Aufgabe kann vielmehr den einzelnen Beschäftigten selbst zugewiesen werden. Eine "Stempelpflicht" ist dem Beschluss des BAG daher nicht zu entnehmen, er ermöglicht auch eine handschriftliche Erfassung der Arbeitszeit durch die Beschäftigten selbst.

Zudem prüft das BAG in seinem Beschluss inzident auch die europarechtlichen Vorgaben. Es kommt unter Verweis auf Art. 17 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie zu dem Schluss "dass sich die Arbeitszeiterfassung nicht auf Arbeitnehmer erstrecken muss, für die ein Mitgliedstaat Ausnahmen vorgesehen hat, weil die Dauer ihrer Arbeitszeit wegen besonderer Merkmale der auszuübenden Tätigkeit nicht bemessen und/oder vorherbestimmt ist oder von den Arbeitnehmern selbst bestimmt werden kann".

"Das Europarecht geht von einem weiter gefassten Arbeitnehmerbegriff aus, der sich auch auf Beamtenverhältnisse erstreckt."

Ausgehend von diesen Grundsätzen spricht alles dafür, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für verbeamtete Professorinnen und Professoren an staatlichen Hochschulen schon nach der derzeitigen Rechtslage keine Anwendung findet. Das BAG ist die höchste deutsche Instanz in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, seine Entscheidungen haben daher nur für Arbeitsverhältnisse Relevanz. Das Europarecht geht dagegen von einem weiter gefassten Arbeitnehmerbegriff aus, der sich auch auf Beamtenverhältnisse erstreckt. Aber auch bei direktem Blick auf die EU-Arbeitszeitrichtlinie ergibt sich nichts anderes. Diese ermöglicht in Art. 17 Abs. 1 gesetzliche Ausnahmen für bestimmte Arbeitnehmergruppen aufgrund "besonderer Merkmale der auszuübenden Tätigkeit".

Auf Grundlage der im Grundgesetz garantierten Freiheit von Forschung und Lehre sehen die Hochschulgesetze der Länder sowie das Bundesbeamtengesetz durchgehend vor, dass die beamtenrechtlichen Vorschriften über die Arbeitszeit auf Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer keine Anwendung finden. Dass dies auch für angestellte Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer gilt, ist in den Ländern teils ausdrücklich geregelt (z.B. NRW: § 39 HG NRW i.V.m. § 123 Abs. 1 LBG), teils weniger klar formuliert. Durchgehend üblich ist aber – jedenfalls an staatlichen Hochschulen – bei angestellten Professorinnen und Professoren eine arbeitsvertragliche Verweisung, die eine Befreiung von den Vorschriften über die Arbeitszeit analog der beamtenrechtlichen Regelungen vorsieht. Da das BAG in seinem Beschluss eine Ausnahme von der Arbeitszeiterfassung vorsieht, wenn ein Mitgliedstaat Ausnahmen aufgrund Art. 17 der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgesehen hat, empfiehlt sich hochschulrechtlich eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung, dass die Regelungen zur freien Arbeitszeit auch für angestellte Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer gelten. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) wird sich hierfür stark machen.

Bedeutung der BAG-Entscheidung für den Mittelbau

Weiterer Klärungsbedarf besteht zudem hinsichtlich der Auswirkungen der BAG-Entscheidung auf den wissenschaftlichen Mittelbau. Eine handschriftliche Notierung der erbrachten Arbeitszeit wäre nach dem BAG-Beschluss ausreichend. Sie bildet aber viele in der Wissenschaft typischen Sachverhalte – man denke nur an die Kontrolle von Versuchsergebnissen nach bestimmten Zeitabschnitten, die zur Erzielung des Forschungsergebnisses notwendig sind – nicht ab. Aus Sicht des DHV ist der deutsche Gesetzgeber daher gefordert, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die es ermöglicht, die Besonderheiten des Wissenschaftsbetriebs auch für diesen Personenkreis adäquat zu berücksichtigen. Dabei muss der Beschäftigtenschutz, aber auch die Freiheit, die wissenschaftlichen Mitarbeitenden an Hochschulen traditionell im Hinblick auf ihre Arbeitszeiteinteilung zugebilligt wird, in eine Balance gebracht werden.