Der Eingang zum globalen Saatguttresor auf Spitzbergen ragt in der Nähe des Polarstädtchens Longyearbyen aus der verschneiten Berglandschaft empor, ein Mensch geht auf sie zu.
picture alliance/dpa | Steffen Trumpf

Agrarforschung
Saatguttresor feiert Jubiläum als eisige Schatzkammer

Um die Vielfalt der Nutzpflanzen der Erde zu bewahren, werden in Spitzbergen Saatgutproben tief gefroren gebunkert. Seit 15 Jahren gibt es den Tresor.

26.02.2023

Eisig kalt rauscht der Wind um eine schwere Stahltür, die eingebettet in einem spektakulären Betoneingang ins Innere eines schneebedeckten Berges führt. In dieser frostigen Umgebung liegt ein Schatz, der letztlich dabei helfen soll, die Ernährung der Menschheit sicherzustellen: Samen etwa von Weizen und Gerste, unterschiedlichen Obst- und Gemüsesorten sowie vielen weiteren Nutz- und Kulturpflanzen werden hier auf Spitzbergen in aller Abgeschiedenheit gelagert – fernab von Krieg, Zerstörung und Naturkatastrophen und bei Minusgraden konserviert für die Zukunft.

Der Svalbard Global Seed Vault, der globale Saatguttresor auf der nordnorwegischen Inselgruppe Spitzbergen in der Nähe des Polarstädtchens Longyearbyen, ist seit seiner Eröffnung 2008 zu einer Art arktischer Arche Noah für die Pflanzenvielfalt geworden. Samen von mehr als 6.000 Pflanzenarten sind tief gefroren dort gebunkert, damit man im Fall der Fälle auf sie zurückgreifen kann. An diesem Sonntag wird diese einzigartige Anlage auf Spitzbergen, das im Norwegischen und auch im Englischen meist Svalbard genannt wird, nun 15 Jahre alt.

"Svalbard ist für uns eine Lebensversicherung, die wir vielleicht nie in Anspruch nehmen werden", sagt Dr. Stefan Schmitz, der Exekutivdirektor des in Bonn ansässigen Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt, kurz Crop Trust genannt. "Es ist eine Lebensversicherung für die Ernährung der Welt im 21. Jahrhundert."

Pflanzenvielfalt der Welt bewahren

Crop Trust zählt neben der norwegischen Regierung und dem nordischen Agrarforschungsinstitut NordGen zu den drei Betreibern des Saatguttresors. Oberstes Ziel: die Pflanzenvielfalt der Welt und damit nicht zuletzt die Ernährung der Menschheit für die Zukunft zu sichern. "Wir sammeln dort Saatgüter und sichern sie, um gegen alle möglichen Notfälle gewappnet zu sein", sagt Schmitz.

Solche Notfälle treten im Idealfall niemals ein – einmal bislang aber doch: Das internationale Forschungsinstitut Icarda konnte im Zuge des Syrischen Bürgerkriegs nicht mehr auf seine Genbank in Aleppo zugreifen – doch zum Glück hatte das Institut schon 2012 Kopien der Samen aus seiner Sammlung in Spitzbergen einlagern lassen.

"Wir konnten damals 116.000 Samenproben zu Icarda im Libanon und Marokko schicken, mit denen neue Einheiten in diesen Ländern aufgebaut wurden", sagt Åsmund Asdal, der als Betriebskoordinator der Anlage so etwas wie der Wächter über den Saatgutschatz von Spitzbergen ist. "Es ist natürlich eine traurige Geschichte über Syrien, aber es ist ein exzellentes Beispiel für die Bedeutung des Saatguttresors." Mittlerweile konnte das Icarda bereits wieder über 100.000 Proben in den Saatguttresor zurückschicken.

Über eine Million Saatgutproben bereits eingelagert

Im Grunde alle Saatgutbanken der Welt können Sicherungskopien ihrer Bestände hinterlegen. Zurückfordern können sie diese Duplikate, wann immer sie es für nötig halten. Gelagert werden sie bei minus 18 Grad in vakuumverpackten Alu-Tütchen, die in drei von der Außenwelt abgeschirmten Kühlkammern in Boxen verstaut sind. Man könne auch von einer "eisernen, eisigen Reserve" sprechen, sagt Schmitz.

Insgesamt sind derzeit 1.195.244 Saatgutproben von 93 Genbanken im Tresor gesichert, wie Asdal jüngst in einem Webinar erzählte. Darunter sind über 200.000 Weizen-, 170.000 Reis- und 90.000 Gerstenproben, von manchen Nahrungspflanzen dagegen nur eine oder zwei. Kapazität hat der Seed Vault für 4,5 Millionen Saatgutproben es ist also noch reichlich Platz da.

Nun dürften doch eigentlich ein oder zwei Weizensorten ausreichen, um zum Beispiel einen vernünftigen Pizzateig zu fabrizieren, könnte man meinen. Und tatsächlich findet in der Landwirtschaft seit gut 100 Jahren eine Optimierung hin zu immer weniger Arten und Sorten statt, wie Schmitz sagt. Das macht Produkte unter anderem preiswerter und leichter lagerfähig – doch zugleich geht damit die Pflanzenvielfalt auf den Äckern abhanden. 75 Prozent davon sind nach Schätzung der UN-Ernährungsorganisation FAO von 1900 bis 2000 verloren gegangen.

Eine zentrale Aufgabe von Genbanken und des Tresors auf Spitzbergen ist es daher, diese Diversität zu bewahren. "Ziel der Genbanken und des Saatgutdepots auf Spitzbergen ist die Erhaltung der genetischen Vielfalt für künftige Forschung und künftige Züchtung, und wenn Sie es global sehen auch für die künftige Ernährung der Menschheit", sagt auch Dr. Andreas Börner, der Leiter der Arbeitsgruppe Ressourcengenetik und Reproduktion am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben in Sachsen-Anhalt, der größten Genbank Deutschlands und der gesamten EU.

Neue Saatgutproben zum Jubiläum

Um seine Bestände zu sichern, greift auch das IPK auf Spitzbergen zurück. Rund um das 15. Jubiläum, das am Sonntag in Longyearbyen mit der Lokalbevölkerung und der norwegischen Landwirtschaftsministerin gefeiert wird, werden dort 68 Boxen mit knapp 20.000 neuen Saatgutproben von 20 Genbanken erwartet. Sechs Boxen mit 2.761 Proben stammen dabei vom IPK, ein Tütchen mit wilden Erdbeeren kommt zudem vom in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) ansässigen Julius Kühn-Institut.

Spitzbergen liegt etwa auf halbem Weg zwischen dem Nordpol und der Nordspitze Norwegens. Diese Lage nützt der Sicherheit des Tresors gleich doppelt: Zum einen gehört die Inselgruppe trotz sehr starker Erwärmung im Zuge der Klimakrise weiterhin zu den kältesten Gegenden der Erde – der Permafrost würde die Samen somit weiter kühlen, sollte die vor einigen Jahren modernisierte Kühlanlage plötzlich ausfallen.

Zum anderen ist Spitzbergen nicht nur eine entmilitarisierte Zone, sondern auch äußerst abgeschieden. "Kein Ort der Welt ist in unserer Zeit hundertprozentig sicher. Aber Svalbard ist einfach so weit weg von allem anderen", sagt Schmitz. Terroristen könnten kaum unbeobachtet mit Sprengstoff oder Waffen dorthin gelangen – und dann könnte hinter jeder Ecke auch immer noch ein Eisbär lauern.

Steffen Trumpf (dpa)