Foto des Tempels von Abu Simbel
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Buchrezension
Wie das Welterbe geschützt wird

Wie geht die Welt mit ihrem Erbe um? Fragen zu einem Buch anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Unesco-Welterbekonvention.

Von Ina Lohaus 25.03.2023

Forschung & Lehre: Frau Professorin Albert, auf welche Erfolge kann die Unesco bei ihrem Welterbeprogramm zurückblicken?

Marie-Theres Albert: Die Gefährdung der Tempel von Abu Simbel durch den Bau des Assuan Staudamms mobilisierte in den 1960er Jahren die Weltgemeinschaft dazu, dieses einzigartige kulturelle Erbe zu schützen. Auf Initiative der Unesco und mit einer weltweiten Unterstützung wurden die Tempel zerlegt und 64 Meter oberhalb des ehemaligen Standorts wieder aufgebaut. Die Aktion hat maßgeblich dazu beigetragen, ein Bewusstsein auf internationaler Ebene für die Bedeutung von kulturellem und natürlichem Erbe zu schaffen und institutionell zu verankern. Sie hat die Erarbeitung der Welterbekonvention befördert, die am 16. November 1972 verabschiedet wurde. Einer der wichtigsten Erfolge ist, dass ihr inzwischen 194 Staaten beigetreten sind, keine andere internationale Konvention hat eine solch hohe Ratifizierungsrate. Aushängeschild der Welterbekonvention ist die Welterbeliste mit inzwischen 1.154 Stätten in 167 Ländern (Juli 2021). Aber nicht allein die Anzahl von Stätten ist ein grandioser Erfolg. Viel wichtiger ist, dass damit die Respektierung und Würdigung von Erbe als einem grundlegenden Faktor für menschliche Entwicklung und Identität von bisher 167 Ländern international anerkannt worden ist.

Portraitfoto von Prof. em. Dr. Marie-Theres Albert
Marie-Theres Albert ist emeritierte Professorin und Direktorin des Institute Heri­tage Studies an der Internationalen Akademie Berlin. privat

F&L: Neben den Erfolgen gibt es auch erns­te Bedrohungen. Was sind die zentralen Herausforderungen für den Erhalt von Kultur- und Naturerbestätten?

Marie-Theres Albert: Die Bedrohungen des Welterbes sind mit denen vergleichbar, denen unsere Gesellschaften heute insgesamt ausgesetzt sind. In unserem Buch haben wir dazu sechs exemplarische Konfliktbereiche identifiziert, die symptomatisch auch die Bedrohung und Gefährdung von Welterbe charakterisieren. Konkrete Themen für die einzelnen Konfliktbereiche waren dabei unter anderem eine "Kontinuierliche Schwächung des Multilateralismus". Durch sich verändernde politische Machtstrukturen im Weltsystem werden Arbeit und Wirkung der Unesco extrem beeinträchtigt. Mit direkten Auswirkungen auf Menschen und Gesellschaften sorgt die Urbanisierung zugleich für eine Gentrifizierung in Städten, die mit dem Verlust an traditionellen Werten und materiellem Erbe einhergeht. Gefahren für Welterbe durch Krieg und Terrorismus einerseits und den Klimawandel andererseits sind allgegenwärtig. Die Zerstörung von Welterbe durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist ein genauso aktuelles Beispiel wie das von der Unesco protokollierte Schmelzen der in die Welterbeliste eingetragenen Gletscher. Gefahren für das Welterbe, die sich aus dem technologischen Wandel ergeben, sind bisher noch nicht eindeutig zu identifizieren, da technologischer Wandel von und bei Entwicklungsprozessen auch positiv bewertet wird. Daher ist hier ein Blick in die Zukunft besonders wichtig. Die Kommerzialisierung von Welterbe ist evident, was sich exemplarisch an einem weltweiten Nominierungsboom im ökonomischen Interesse festmachen lässt.

F&L: Welche globalen Instrumente stehen für den Schutz von Welterbestätten zur Verfügung und wie wichtig ist die internationale Zusammenarbeit?

Marie-Theres Albert: Die Welterbekonvention wird flankiert und ergänzt von internationalen Übereinkommen der Unesco wie beispielsweise der "Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict 1954" (Hague Convention 1954) mit den Protokollen von 1954 und 1999 oder der "Convention for the Protection of Architectural Heritage" 1985. Rechtlich umgesetzt wird die Welterbekonvention über das in ihren Vertragsstaaten geltende nationale Recht. Schärfstes Sanktionsmittel der Konvention ist die Austragung einer Welterbestätte aus der Welterbeliste, der in der Regel eine Eintragung in die Liste des gefährdeten Welterbes vorausgeht. Zu den zentralen Zielen der Welterbekonvention gehören neben Schutz und Erhaltung von Kultur- und Natur­erbestätten die internationale Zusammenarbeit. Dadurch ist das Bewusstsein und insbesondere auch die politische Aufmerksamkeit in den 50 Jahren ihres Bestehens entscheidend befördert; die herausragende und koordinierende Rolle der Unesco wurde auch in der Erklärung der Kulturminister der G20-Staaten unterstrichen, die sich erstmals im Jahr 2021 im Rahmen eines Weltwirtschaftsgipfels getroffen haben.

F&L: Worauf wird es zukünftig beim Welt­erbe­schutz ankommen?

Marie-Theres Albert: In unserem Buch "50 Years World Heritage Convention: Shared Responsibility – Conflict and Reconciliation" haben wir die Konvention historisch betrachtet und aktuelle Konflikte ausgeführt. Wir haben dabei zwei grundlegende Ausblicke formuliert, die für den Welterbschutz in Zukunft wichtig sind und mit denen Nachhaltigkeit erreichbar ist. Das ist zum einen die Schaffung des Bewusstseins darüber, dass eine Wiederherstellung von zerstörtem Welterbe mehr ist als die seiner materiellen Substanz. Es ist vielmehr die Rückgewinnung eines gesellschaftlichen Zusammenhalts und kultureller Identität. Es ist zum anderen die Schaffung eines Bewusstseins der Übernahme von Verantwortung für den Schutz von Erbe, da Erbe identitätsbildend ist und die Zerstörung von Erbe Identität zerstört.

Welterbeschutz – zum Weiterlesen

Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Unesco-Welterbekonvention ist ein Buch entstanden, in dem sich 61 Autorinnen und Autoren aus 28 Ländern vielfältigen Fragen zur Vergangenheit und Zukunft des Welterbes widmen. Es ist im Oktober 2022 als Open Access im Springer Verlag erschienen.

Marie-Theres Albert u.a. (Hg.): 50 Years World Heritage Convention: Shared Responsibility – Conflict and Reconciliation.