Serie: 25 Jahre Forschung & Lehre
Mehr Mut bei der Gestaltung von Curricula
Wenn man die für Wissenschaft zuständigen Minister, Mitglieder des Akkreditierungsrates oder Mitarbeiter von Akkreditierungsagenturen auf die durch die Bologna-Reform ausgelösten Rigidisierungseffekte an Hochschulen anspricht, reagieren sie verwundert. Ihr Argument lautet, dass viele wirksame Hebel in der Lehre ja nicht von ihnen untersagt worden seien, sondern dass die Hochschulen durch ihre Studien- und Prüfungsordnungen diese wirksamen Hebel selbst verhindern würden.
Die Hochschulen, so der Tenor, seien doch letztlich selbst Schuld, wenn sie die von oben kommenden Richtlinien viel rigider auslegten, als sie intendiert seien. Die Hochschulen könnten auf diese Kritik mit dem berechtigten Hinweis reagieren, dass sie kein Interesse daran haben, die Freiheiten in der Lehre durch möglichst dicke und komplizierte Studienordnungen, Prüfungsrichtlinien und Modulhandbücher einzuschränken.
Wir haben es mit einem echten Rätsel zu tun: Wie kommt es zu Rigidisierungen bei der Gestaltung der Lehre, wenn es weder im Interesse der Richtlinieninstanzen noch im Interesse der für die Lehre verantwortlichen Einrichtungen liegen kann, die Handlungsmöglichkeiten bei der Gestaltung der Curricula übermäßig einzuschränken?
Striktere Interpretationen als nötig
Die fast schon paradox klingende Auflösung dieses Rätsels liegt in der Vagheit vieler Richtlinienformulierungen, die dazu führen, dass untergeordnete Instanzen häufig striktere Interpretationen als nötig wählen. In den Hochschulen hat sich eine sehr eigene Form des "Stille-Post-Effektes" ausgebildet, der die Handlungsmöglichkeiten in der Lehre immer mehr einschränkt.
Bei der Gestaltung der Lehre ergänzt und verändert jede Stelle, durch die Informationen laufen, diese so, dass die Spielräume letztlich über mehrere Ebenen immer mehr eingeschränkt werden.
Auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene heizt die Gerüchteküche den Rigidisierungsprozess an durch Spekulationen darüber, welche Standards der Studienganggestaltung bei der Akkreditierung durchgehen werden und welche nicht.
"Bei der Gestaltung von Curricula braucht es eine Haltung, die alles, was durch die übergreifenden Ordnungen nicht ausdrücklich verboten ist, möglich macht."
Schon auf der Ebene der nationalen oder regionalen Bildungsministerien – im Gegensatz zur EU ja die einzigen Ebenen, auf denen verbindliche Richtlinien für die Bildungspolitik erlassen werden können – wird spekuliert, durch welche Richtlinien man dem Geist von Bologna am ehesten entsprechen könnte.
Auf der Ebene der Hochschulleitungen wird dann wiederum erwogen, wie die häufig eher nebulösen Rahmenrichtlinien der nationalen und regionalen Bildungsministerien wohl von den für die Genehmigung zuständigen Akkreditierungsstellen interpretiert werden würden.
In den Fakultäten, Fachbereichen und Instituten, also auf der Ebene, die letztlich für die Entwicklung der Studiengänge zuständig ist, wird dann wiederum gerätselt, welche der sich häufig widersprechenden Richtlinieninterpretationen sich auf Universitätsebene durchsetzen werden und wieviel Spielraum man innerhalb dieser Richtlinien noch haben wird, ohne dem Veto der zu rigiden Interpretationen neigenden Justiziariate ausgesetzt zu sein. Der Tenor ist dann am Ende allzu häufig ein vorauseilendes Statement: "Interessante Idee, aber das bekommen wir bei der Akkreditierung nicht durch".
Was wir bei der Gestaltung der Lehre benötigen, ist eine grundlegende Umstellung in der Interpretation übergeordneter Richtlinien. Bei der Gestaltung von Curricula braucht es eine Haltung, die alles, was durch die übergreifenden Ordnungen nicht ausdrücklich verboten ist, möglich macht. Statt bei der Gestaltung eigener Vorgaben systematisch die übergeordneten, häufig vage gehaltenen Richtlinien übermäßig eng auszulegen, müssen Hochschulen ein Gespür dafür entwickeln, wie die Vagheiten so genutzt werden können, um die Handlungsspielräume auf der Ebene der Lehrenden systematisch auszuweiten.
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