Boris Johnson
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Brexit
Boris Johnson wird Premier – Wissenschaft fiebert um Brexit-Deal

Ein Brexit-Hardliner hat den Vorsitz der Tory-Partei in Großbritannien bekommen. Hochschulvertreter warnen erneut vor einem EU-Austritt ohne Abkommen.

Von Katrin Schmermund 23.07.2019

Die britische Tory-Partei hat Boris Johnson zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Damit wird der Konservative zugleich Nachfolger der scheidenden Premierministerin Theresa May. Johnson gilt als Brexit-Hardliner. Bis zum 31. Oktober will er Großbritannien aus der EU führen – zur Not auch ohne Abkommen. Hochschulvertreter warnten ereneut vor den damit verbundenen Folgen.

"Mir scheint, dass dem wahren Einfluss eines No-Deal-Brexits auf Forschung und Innovation wenig Beachtung geschenkt wird", schrieb der Vorsitzende der britischen Royal Society, Venki Ramakrishnan, vor der Wahl in einem offenen Brief an den am Dienstag gewählten Johnson. Ein EU-Austritt ohne Abkommen wäre schlecht für die britische Wissenschaft. Großbritannien würde weniger attraktiv für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wertvolle Forschungskooperationen seien gefährdet.

Einer von sechs wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Großbritannien komme aus einem EU-Staat, betonte Ramakrishnan. An einem Drittel der veröffentlichten Artikel hätten Forschende aus der EU oder einem anderen Horizon-2020-Partnerland mitgeschrieben.

Sorge vor neuen Einreisevorschriften

"Es ist zu erwarten, dass ein harter Brexit den Forschungsbetrieb in Großbritannien stark treffen und langfristige Folgen haben wird", sagte auch Professorin Ulrike Tillmann, ebenfalls Mitglied der Royal Society, auf Nachfrage von Forschung & Lehre. Johnson selbst habe sich kaum zum Thema Wissenschaft geäußert.

Tillmann kritisiert ungeklärte Details zur zukünftigen Forschungsfinanzierung und Einreisebestimmungen. Auch Fragen zur Rechtsangleichung seien noch offen, zum Beispiel in der Medizin. "Stattdessen haben wir einen Limbo-Zustand, der verständlicherweise manche dazu veranlassen wird, sich woanders einen Job zu suchen oder erst gar nicht in das Vereinigte Königreich zu kommen", sagte die Mathematikerin.

Der Zusammenschluss britischer Universitäten, "Universities UK", appellierte an den neuen Premier. "[Johnson] sollte an seinem Versprechen festhalten, Visa für die Zeit nach einem Studien zu ermöglichen", teilte der Verbund mit und verwies auf den Beitrag, den internationale Absolventinnen und Absolventen zur britischen Wirtschaft und Gesellschaft leisteten.

Anfang des Jahres hatte die Vereinigung in einem offenen Brief zusammen mit anderen Hochschulvertretern vor einem Austritt ohne Abkommen gewarnt. Es wäre "eine der größten Bedrohungen für die britischen Universitäten, denen diese jemals gegenübergestanden hätten".

Die negativen Auswirkungen von schärferen Visa-Bestimmungen sowie von höheren Studienkosten hatte auch Tillmann betont. "Studierende, die im kommenden Herbst mit ihrem Studium in Großbritannien anfangen, sollten sich von den Universitäten versichern lassen, dass die Studiengebühren auch in den kommenden Jahren bis zu ihrem Abschluss nicht über Gebühr ansteigen", sagte sie gegenüber Forschung & Lehre.

Auch erhöhte Visa-Vorschriften könnten schnell ins Geld gehen. "Das kann für eine vierköpfige Familie schnell ein Fünftel des Jahresgehalts ausmachen", sagte sie. "Der wissenschaftliche Arbeitsmarkt im Vereinigten Königreich wird dann international nur schwer konkurrenzfähig bleiben."

Dabei gehen mögliche Kursänderungen in der britischen Politik über einen EU-Austritt ohne Abkommen hinaus. "Es besteht das große Risiko, dass Boris Johnson versucht, die zugesagten Beiträge zum EU-Haushalt als Druckmittel zu verwenden, um Änderungen im Austrittsabkommen durchzusetzen", sagte Thomas Jorgensen von der European University Association (EUA) am Dienstag.

2014 hatte sich Großbritannien verpflichtet, bis Ende 2020 einen Beitrag zum mehrjährigen EU-Haushalt zu leisten. Damit könnte Forschende aus Großbritannien weiter an EU-Förderprogrammen teilnehmen. "Sollte Großbritannien unter Boris Johnson nicht zahlen, geht das alles den Bach herunter", warnte Jorgensen.

Die europäische Forschungszusammenarbeit würde enorm leiden, wenn Großbritannien nicht länger zahlen würde. Die Auswirkungen würden sich in vielen Einzelheiten zeigen, etwa in der Akkreditierung von Programmen oder der Laborausstattung. "Universitäten sollten daher auf jeden Fall versuchen zu verhindern, dass das Vereinigte Königreich aufhört zu zahlen", sagte Jorgensen.

Tillmann rät Hochschulen außerdem, sich verstärkt um Kooperationen mit internationalen Universitäten zu bemühen. Zuletzt hatte etwa das Imperial College London seine Zusammenarbeit mit der TU München vertieft. Ebenfalls aus München hatte die LMU München einen engeren Austausch mit der Universität Cambridge verkündet. Oxford will seine Kontakte mit den Berliner Universitäten ausbauen.

EU hält an Ratifizierung des Brexit-Abkommens fest

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, gratulierte kurz nach der Wahl. Er wolle mit dem Premierminister "so gut wie möglich zusammenarbeiten", teilte eine Sprecherin am Dienstag in Brüssel mit. 

Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier machte unterdessen erneut klar, dass die EU die von Johnson geforderte Neuverhandlung des Austrittsabkommens ablehnt. Er schrieb über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Wir freuen uns darauf, mit Boris Johnson nach seiner  Amtsübernahme konstruktiv zusammenzuarbeiten, um die Ratifizierung des Austrittsabkommens zu erleichtern und um einen geregelten Brexit zu gewährleisten."

Johnson setzte sich bei der Wahl am Dienstag mit 66,4 Prozent gegenüber seinem Konkurrent Jeremy Hunt durch. Er wolle Großbritannien einen und dem Land den Brexit liefern, sagte Johnson laut Medienberichten im Anschluss an die Abstimmung im Parlament. Dabei wolle er den Wunsch nach Freundschaft mit Europa und die Sehnsucht nach demokratischer Selbstbestimmung vereinen.

Am Mittwoch wird Johnson von Königin Elizabeth II. zum Premierminister ernannt. Die Zusammensetzung des neuen Kabinetts steht noch aus. Einige Minister hatten bereits angekündigt, auszutreten. Sie verurteilen Johnsons Position, im Notfall auch ohne ein Abkommen aus der EU auszutreten.