Silhouetten von Menschen sind in einem leuchtenden Datenstrom zu sehen.
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Gesundheitsdaten
Europäischer Gesundheitsdaten-Pool geplant

Die EU hat sich auf einen gemeinsamen Gesundheitsdatenraum geeinigt. Wissenschaftliche Forschung soll dadurch erleichtert werden.

19.03.2024

Der Rat der EU und das Europäische Parlament haben eine vorläufige Einigung über einen neuen Rechtsakt erzielt, durch den der Austausch von und der Zugang zu Gesundheitsdaten auf EU-Ebene erleichtert werden soll. 

Ziel der vorgeschlagenen Verordnung für einen europäischen Raum für Gesundheitsdaten (European Health Data Space, EHDS) sei es, den Zugang von Einzelpersonen zu ihren personenbezogenen elektronischen Gesundheitsdaten und ihre Kontrolle darüber zu verbessern. 

Gleichzeitig solle die Weiterverwendung bestimmter Daten für Zwecke des öffentlichen Interesses, der Unterstützung der Politik und der wissenschaftlichen Forschung ermöglicht werden. Im Vorschlag ist eine gesundheitsspezifische Datenumgebung vorgesehen, die dazu beitragen solle, einen Binnenmarkt für digitale Gesundheitsdienste und -produkte zu fördern. 

Status in der EU: Kein grenzüberschreitender Datenzugang 

Derzeit gibt es in der EU Unterschiede beim grenzüberschreitenden Zugang zu Gesundheitsdaten. Nach den neuen Vorschriften solle es beispielsweise möglich werden, dass ein spanischer Tourist eine Verschreibung in einer deutschen Apotheke abholen könne, oder dass Ärztinnen und Ärzte auf die Gesundheitsinformationen eines belgischen Patienten zugreifen könnten, der in Italien behandelt werde. 

Frank Vandenbroucke, Vizepremierminister und Minister der Sozialen Angelegenheiten und der Volksgesundheit, ordnet die Einigung als Fortschritt für viele Beteiligte ein: "Nach monatelanger engagierter und harter Arbeit haben wir eine Einigung erzielt, die die Patientenversorgung und die wissenschaftliche Forschung in der EU entscheidend voranbringt. Die heute vereinbarten neuen Rechtsvorschriften werden es Patienten ermöglichen, überall in der EU auf ihre Gesundheitsdaten zuzugreifen. Zugleich werden sie der wissenschaftlichen Forschung aus wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses eine Fülle sicherer Daten verschaffen, was der Entwicklung der Gesundheitspolitik in hohem Maße zugutekommen wird."

"Die Einigung ist ein Meilenstein für die Gesundheitsforschung in Europa und kann Erkenntnisse und Verbesserungen für diverse Krankheitsbilder ermöglichen", sagt Otmar D. Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, dazu auf Anfrage von Table.Briefings. Vor allem für seltene Erkrankungen seien die Chancen enorm, weil es endlich leichter möglich sein werde, genügend Daten für Untersuchungen zu erhalten. 

"Die Einigung ist ein Meilenstein für die Gesundheitsforschung in Europa und kann Erkenntnisse und Verbesserungen für diverse Krankheitsbilder ermöglichen."
Otmar D. Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft

Einfacherer Zugang zu Gesundheitsdaten für Einzelpersonen 

Nach den neuen Vorschriften würden Einzelpersonen einen schnelleren und einfacheren Zugang zu ihren elektronischen Gesundheitsdaten erhalten, unabhängig davon, ob sie sich in ihrem Heimatland oder in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten. 

Darüber hinaus würden Bürgerinnen und Bürger mehr Kontrolle darüber haben, wie ihre Daten verwendet werden. Die EU-Länder würden verpflichtet, eine digitale Gesundheitsbehörde zur Umsetzung der neuen Bestimmungen einzurichten. 

Größeres Forschungspotenzial durch Gesundheitsdaten-Pool 

Außerdem würden Forscherinnen und Forscher sowie politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dank dem EHDS auf bestimmte Arten sicherer Gesundheitsdaten im Rahmen der Sekundärnutzung zugreifen können. So würden sie das enorme Potenzial der EU-Gesundheitsdaten nutzen und diese für die wissenschaftliche Forschung im öffentlichen Interesse auswerten. 

"Durch die Sekundärnutzung der Daten in anonymisierter Form, ohne dass die Daten einem Namen zugeordnet werden können, ermöglichen wir Forscherinnen und Forschern die effektive Nutzung dieser Daten aus ganz Europa nach einheitlichen Datenschutzkriterien", erklärte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese gegenüber dem Ärzteblatt. 

Sicherstellung der Interoperabilität auf EU-Ebene 

Der derzeitige Grad der Digitalisierung von Gesundheitsdaten in den EU-Mitgliedstaaten sei unterschiedlich, was den Austausch von Daten über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg erschwere. 

Nach der vorgeschlagenen Verordnung müssten alle Systeme für elektronische Patientenakten (European Health Record Systems, EHR-Systeme) den Spezifikationen des europäischen Austauschformats für elektronische Patientenakten entsprechen, womit ihre Interoperabilität auf EU-Ebene gewährleistet werde. 

Wichtige Elemente der vorläufigen Einigung 

Mit der zwischen dem Rat und dem Parlament erzielten vorläufigen Einigung werde der ursprüngliche Vorschlag der Kommission in einer Reihe von Schlüsselbereichen geändert, unter anderem in Bezug auf 

  • Nichtbeteiligung: 
    Die Mitgliedstaaten könnten Patientinnen und Patienten die Möglichkeit geben, dem Zugriff auf ihre Daten – sei es durch den behandelnden Angehörigen der Gesundheitsberufe (Primärgebrauch) oder für anderweitige Verwendungszwecke (Sekundärnutzung, stets unter strengen Auflagen), mit Ausnahme für Zwecke des öffentlichen Interesses, Politikgestaltungs- und Forschungszwecke sowie statistische Zwecke – zu widersprechen; 
  • eingeschränkt zugängliche Informationen: 
    Wenn Patientinnen und Patienten sich für einen eingeschränkten Informationszugang entscheiden würden, könnten Angehörige der Gesundheitsberufe nur in Situationen von lebenswichtigem Interesse auf eingeschränkt zugängliche Gesundheitsdaten zugreifen; 
  • sensible Daten: 
    Die Mitgliedstaaten könnten strengere Maßnahmen für den Zugang für Forschungszwecke zu bestimmten Arten sensibler Daten, wie etwa zu genetischen Daten, einführen; 
  • vertrauenswürdige Dateninhaber: 
    Um den Verwaltungsaufwand zu verringern, könnten die Mitgliedstaaten vertrauenswürdige Dateninhaber einrichten, die Anträge auf Zugang zu Gesundheitsdaten sicher verarbeiten könnten; 
  • klinisch signifikante Befunde: 
    Wenn Forschende Zugangsstellen für Gesundheitsdaten über Befunde informieren würden, die die Gesundheit einer Patientin oder eines Patienten, dessen Daten im Zuge der wissenschaftlichen Forschung verwendet wurden, beeinträchtigen könnten, könne die Zugangsstelle für Gesundheitsdaten den vertrauenswürdigen Dateninhaber informieren. Dieser müsse seinerseits die Patientin/den Patienten oder den behandelnden Angehörigen der Gesundheitsberufe über diese Befunde unterrichten. 

Nächste Schritte im Beschlussverfahren 

Die vorläufige Einigung muss nun vom Rat und vom Parlament gebilligt werden. Anschließend wird sie nach Überarbeitung durch die Rechts- und Sprachsachverständigen von beiden Organen förmlich angenommen. Die Verordnung tritt 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. 

Europäische sektor- und bereichsspezifische Datenräume

Am 3. Mai 2022 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines Europäischen Raums für Gesundheitsdaten (EHDS). Der Vorschlag behandelt den ersten von neun europäischen sektor- und bereichsspezifischen Datenräumen, die die Kommission in ihrer Mitteilung "Eine europäische Datenstrategie" aus dem Jahr 2020 vorgestellt hat. Der Rat hat sich am 6. Dezember 2023 auf sein Verhandlungsmandat geeinigt.

cva