gezeichnetes Portrait von Bettina Stark-Watzinger
Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann // Zeichnung: Studio Nippoldt

Bettina Stark-Watzinger
"Vielfalt wertschätzen und Stärken nutzen"

Viele Krisen treffen aktuell auch die Wissenschaft. Ein Gespräch mit der Bundesministerin für Bildung und Forschung über ihre Visionen.

Forschung & Lehre: Frau Stark-Watzinger, Sie sind seit elf Monaten im Amt als Bundesministerin für Bildung und Forschung. Vorab haben Sie angekündigt, dass Sie eine "Bildungsrevolution" anstreben, und mehr Mittel für die Wissenschaft versprochen. Das haben Sie auch im Koalitionsvertrag so vereinbart. Jetzt sehen wir aber in 2022 eher Kürzungen im Haushalt und in der Folge in einzelnen Forschungsprojekten. Einige Forscherinnen und Forscher empfinden dies als "Vertrauensbruch". Was sagen Sie dazu?

Bettina Stark-Watzinger: Anders als von der letzten Bundesregierung vorgesehen, haben wir dafür gesorgt, dass der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung über die Legislaturperiode um circa drei Milliarden Euro wächst. Gleichzeitig ist die Haushaltslage aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und seiner Folgen schwierig. So können wir in der Projektförderung vorübergehend etwas weniger bewilligen als noch 2021, weil aktuell nicht mehr Mittel in diesem Haushaltsbereich zur Verfügung stehen. Auch wenn rechtlich nichts zu beanstanden ist, kann ich die Enttäuschung der betroffenen Forscherinnen und Forscher nachvollziehen. Wichtig ist, dass keine Forschungsvorhaben aus Kostengründen abgebrochen werden mussten.

Portraitfoto von Bettina Stark-Watzinger
Bettina Stark-Watzinger ist seit Dezember 2021 Bundesministerin für Bildung und Forschung. picture alliance/dpa / Carsten Koall

F&L: Wie wollen Sie das verlorengegangene Vertrauen wiedergewinnen?

Bettina Stark-Watzinger: Wir müssen uns die Kommunikationsstrukturen in der Projektförderung anschauen und auch die Gesamtlaufzeiten von Förderschwerpunkten. Warum hat es sich so entwickelt, dass eine Förderung angekündigt wird, obwohl nur die Eckpunkte des Haushalts bestehen? Die Ausgestaltung der Förderrichtlinien soll gewährleisten, dass zwischen Bewilligung und Projektstart möglichst wenig Zeit liegt. Dabei muss immer die Frage der Finanzierung geklärt sein. Gleichzeitig müssen die Prozesse für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Forschungseinrichtungen möglichst transparent sein. Bewilligt ist die Förderung auch weiterhin erst mit dem Bescheid.

F&L: Haben Sie darüber nachgedacht, die Verlässlichkeit Ihrer Wissenschaftspolitik über andere mögliche Signale zu stärken?

Bettina Stark-Watzinger: Wir tun viel für die Wissenschaft. So arbeiten wir an einer Neufassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes für verlässlichere Perspektiven für die Forschenden. Auch wollen wir eine verlässliche Finanzierung, vor allem in der Grundlagenforschung, gewährleisten. Wir finanzieren dazu unter anderem die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit zwei Milliarden Euro und die außeruniversitären Einrichtungen mit sechs Milliarden Euro. Wir stehen in Deutschland vor einer gesamtgesellschaftlichen Transformation. Durch die Grundlagenforschung haben wir die Chance, sie gut zu bewältigen.

F&L: Sie betonen die Grundlagenforschung. Warum werden diese und die angewandte Forschung immer noch oft als Gegensatz betrachtet?

Bettina Stark-Watzinger: Das sollte nicht so sein. Wir haben in unserem Wissenschaftssystem eine Vielfalt, die sich gegenseitig befruchtet. Wir müssen lernen, davon noch mehr zu profitieren. Wir brauchen sowohl einen Innovationsschub als auch eine Transferoffensive.

"Der Tenure Track erhöht die Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren insbesondere für Frauen mit Kind und Familie."

Bettina Stark-Watzinger

F&L: Sie haben auch bessere Karriereperspektiven angesprochen. Wie wollen Sie die Förderung von Frauen in der Wissenschaft weiter vorantreiben?

Bettina Stark-Watzinger: Vier Bausteine sind vorgesehen: Der erste ist das Professorinnenprogramm, das auch nach dem Ende der aktuellen Programmphase ab 2023 weitergeführt werden wird. Da sind wir mit den Ländern in den Verhandlungen. Zweitens müssen wir den Blick darauf richten, dass nicht nur in den Hochschulen, sondern auch in den außeruniversitären Forschungsinstituten die Frauenförderung einen hohen Stellenwert bekommt und sich dies auch in den dortigen Planungen zeigt. Drittens müssen wir auch an uns selbst arbeiten: Verhaltenswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler weisen darauf hin, dass wir unser Leben sehr stark danach ausrichten, wie wir sozial geprägt sind. Das sollten wir uns bewusster machen und bei Entscheidungen berücksichtigen. Viertens ist mir der "Tenure Track" wichtig: Er erhöht die Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren insbesondere für Frauen mit Kind und Familie. Ich bin allerdings nicht für die Quote.

F&L: Sie sind gegen eine Frauenquote?

Bettina Stark-Watzinger: Ja, weil ich es nicht für das richtige Instrument halte. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht ambitioniertere Ziele setzen und verfolgen sollte, damit sich die Repräsentanz von Frauen auf dem Weg nach oben in der Wissenschaft nicht wie eine Pyramide verengt.

F&L: Im Moment treibt uns alle die Energieknappheit sehr um. Wie könnte man die Hochschulen unterstützen, damit sie durch den Winter kommen?

Bettina Stark-Watzinger: Wir sind im ständigen Austausch mit den Akteuren im Bildungs- und Wissenschaftssystem: Schulen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, die teilweise größere Infrastrukturen mit einem hohen Energiebedarf haben. Ich bin sehr froh, dass wir uns in der Bundesregierung einig sind, dass die Bildungseinrichtungen zu den geschützten Kunden gehören, die vorrangig mit Gas versorgt werden. Wir müssen aber auch auf die Kosten schauen: Hochschulen und Forschungseinrichtungen stehen hier wie die gesamte Gesellschaft vor großen Herausforderungen. Man kann zwar Energie einsparen, aber dem sind Grenzen gesetzt. Da wird der Bund in den Austausch treten müssen mit den für die Hochschulen zuständigen Ländern, wie man Härten über verschiedene Maßnahmen abfedern kann. Darüber hinaus werden wir sicherstellen, dass eine ausreichende Energieversorgung da ist. Dabei geht es um eine zügige Angebotsausweitung. Auch so wollen wir dafür sorgen, dass die Kosten wieder sinken.

F&L: Ein Teil des Problems entsteht auch dadurch, dass die Hochschulen nicht so saniert sind, wie sie sein sollten. Wie kann man in Zukunft im Hochschulbau schneller vorankommen?

Bettina Stark-Watzinger: Das Thema beschäftigt uns im Austausch mit den Ländern immer wieder. Die Aufgabe lag einmal beim Bund und ist im Rahmen der Föderalismusreform auf die Länder übergegangen. Das war auch der Wunsch der Länder, die dafür einen finanziellen Ausgleich erhalten haben. Ich bin jedoch der Ansicht, dass wir als Staat, egal auf welcher Ebene, schauen müssen, dass bei Sanierungen und Neubauten der Energieverbrauch gesenkt wird.

F&L: Wie beurteilen Sie es, dass in Folge des Ukraine-Kriegs aus Teilen der Wissenschaft Forderungen kommen, die Zivilklauseln abzuschaffen? Halten Sie das für richtig?

Bettina Stark-Watzinger: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt natürlich zu zugespitzten Debatten. Im Umgang mit den Zivilklauseln sind die Hochschulen frei. Als Ministerium fördern wir nur zivile Forschung. Schlüsseltechnologien können allerdings Dual-Use-Charakter haben, beispielsweise Künstliche Intelligenz oder Biotechnologien. Es gibt hier eine rechtliche und eine ethische Seite zu beachten. Deshalb ist es richtig, dass wir Codes of Con­duct und hohe ethische Standards haben. Das ist auch wichtig im Zusammenhang mit der Frage, mit wem wir zusammenarbeiten und wem wir Zugang zu unserem Wissen geben. An China kann man es ganz konkret festmachen: China ist ein Land, das unsere Werte nicht teilt, mit Blick auf Demokratie und Menschenrechte. Ein Land, das mit uns im systemischen Wettbewerb steht. Dort ist die Gefahr hoch, dass Technologien gegen die Menschen oder zu militärischen Zwecken eingesetzt werden. Wir prüfen und entscheiden deshalb sehr genau die Themen der Zusammenarbeit. Unterstützung gibt es nur für solche Vorhaben, die einen klaren Mehrwert für Deutschland und Europa haben. Das ist ein ganz klarer Rahmen.

F&L: An den Hochschulen mehren sich die Probleme mit der Wissenschaftsfreiheit: Es werden Veranstaltungen nach Kritik abgesagt oder massiv gestört, Rednerinnen und Redner werden wieder ausgeladen. Daraus resultieren aufgeheizte Debatten in den Medien. Jüngst wurde zum Beispiel die Biologin Marie-Luise Vollbrecht von einem Vortrag an der HU Berlin zum Thema Geschlechtervielfalt ausgeladen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Bettina Stark-Watzinger: Die Wissenschaftsfreiheit hat bei uns Verfassungsrang. Das ist richtig und gut so. Mit der Trennung von Glaube und Wissen in der Aufklärung erwuchs der Wissenschaft eine besondere Verantwortung. Sie verkörpert heute das Streben nach gesicherter Erkenntnis. Die Wissenschaftsfreiheit hat für mich drei Aspekte: Erstens ist sie grundgesetzlich geschützt – daher muss auch die langfristige Finanzierung gewährleistet sein. Zweitens ist das angemessene Verhältnis von Drittmittel- versus Grundfinanzierung einzuhalten. Und drittens lebt sie von der inhaltlichen Debatte. Wir leben zum Glück in einem Land, das im Academic Freedom Index an erster Stelle steht. Diese Spitzenposition wollen wir erhalten. Die Hochschulen sind die Orte, an denen die Debatten stattfinden müssen. Sie haben die Freiheit, aber auch die Verantwortung dazu. Wissenschaftsfreiheit hat auch ihre Grenzen, nämlich dann, wenn sie verleumdet oder die Menschenwürde verletzt. Wir müssen sicherstellen, dass die Wissenschaftsfreiheit innerhalb ihrer Grenzen funktioniert.

"Wissenschaftsfreiheit hat auch ihre Grenzen." Bettina Stark-Watzinger

F&L: Genau um diese Grenzen dreht sich aktuell die Diskussion…

Bettina Stark-Watzinger: Nach meiner Ansicht sind die Grenzen klar. Hochschulen sollten die Orte sein, an denen die Argumente offen ausgetauscht werden, aber mit Respekt und Wertschätzung.

F&L: Kann man den Hochschulen den Vorwurf machen, sie hätten vorher wissen müssen, welche Themen für Aufruhr sorgen, und dass sie entsprechend Vorsorge hätten treffen können, zum Beispiel indem sie ein besseres Sicherheitskonzept erarbeiten oder mehr in ein Veranstaltungs- beziehungsweise Kommunikationsmanagement investieren?

Bettina Stark-Watzinger: Das richtig einzuschätzen, ist nicht immer eine einfache Aufgabe. Allerdings gibt es hier einen Lernprozess, der mich für zukünftige Debatten optimistisch stimmt.

F&L: In den 90er Jahren wurde unter Bundesbildungsministerin Bulmahn das Bologna-System eingeführt. Was könnte man in der Struktur verbessern und was sollte so bleiben?

Bettina Stark-Watzinger: Der Bologna-Prozess war richtig, weil wir europäisch und international denken müssen. Das Wunderbare an Wissenschaft ist ja, dass sie über Grenzen hinweg arbeitet und sogar Brücken baut. Natürlich gibt es gewisse Grenzen mit Blick auf die Frage, wie man mit Staaten zusammenarbeitet, in denen die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt ist. Aber insgesamt ist diese Internationalität auch hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit sehr wichtig. Mein Eindruck ist, dass jetzt das Gewünschte eingetreten ist: Die jungen Menschen schließen mit einem Bachelor ab, dann sammeln sie vielleicht Berufserfahrung oder orientieren sich, um dann einen Master zu machen. Bei Abschlussfeiern von Studierenden sind deren Energie und Zukunftsoptimismus förmlich zu greifen. Aus den Gesprächen mit ihnen nehme ich mit, dass das Bachelor-Master-System Stück für Stück angenommen und besser geworden ist. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass zu Beginn die Umstellung eine große Herausforderung war.

F&L: Ein häufig zu hörender Kritikpunkt an der Bologna-Reform ist, dass es nun weniger Möglichkeiten und Freiheiten gibt, das Studium zu gestalten, und dass man im Studium früher mehr Zeit hatte. Auch die Professorinnen und Professoren erleben das teils als Sinnverlust insofern, dass sie sich fragen, ob das überhaupt noch Wissenschaft ist, was sie da tun…

Bettina Stark-Watzinger: Das muss man aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Es gibt unterschiedliche Gründe für ein Studium: um möglichst schnell in den Beruf einzusteigen oder um sich mit mehr Zeit fachlich zu vertiefen. Beides ist mit dem Bachelor-Master-System möglich. Hochschulen sind auch Orte, an denen sich junge Menschen persönlich weiterentwickeln. Die nötige Freiheit dazu ist da.

"Hochschulen sind Orte, an denen sich junge Menschen persönlich weiterentwickeln. Die nötige Freiheit dazu ist da." Bettina Stark-Watzinger

F&L: Es wurde auch kritisiert, dass Studierende das Gefühl hatten, die Eigenständigkeit und Flexibilität sei verloren gegangen, weil sie durch die verschiedenen Regulierungen des Bachelor-Master-Systems doch stark eingeschränkt waren, und auch die Kompatibilität zwischen den Hochschulen und den verschiedenen Ländern nicht gegeben war. Aktuell besteht der Eindruck, dass es mit der Flexibilität inzwischen etwas besser geworden ist, aber dass das europäische Zusammenspiel der Hochschulen immer noch nicht ganz so gut funktioniert. Sehen Sie das auch so?

Bettina Stark-Watzinger: Ich teile den Eindruck, sehe allerdings auch noch Verbesserungspotenzial, etwa bei der Anerkennung und Anrechnung von Studienleistungen. Bei mancher Kritik frage ich mich jedoch, ob sie mit der Bologna-Reform zusammenhängt oder eher mit den selbst gemachten Regeln.

F&L: Sie betonen immer wieder die Bedeutung der Wissenschaftskommunikation für den Austausch zwischen den unterschiedlichen Fachbereichen und auch für den Transfer der Forschung in die Praxis. Welche Konzepte haben Sie für sich persönlich entwickelt, um der Bedeutung von Wissenschaft und Forschung in der Regierung angemessenes Gehör zu verschaffen?

Bettina Stark-Watzinger: Wir kämpfen unermüdlich für unsere Themen – sei es in der öffentlichen oder parlamentarischen Debatte –, weil es gerade angesichts der Krisen eine starke Gegenwartsbezogenheit gibt. Natürlich müssen wir die aktuellen Herausforderungen meistern. Das erwarten die Menschen zu Recht von uns. Aber wir müssen auch sehen, dass wir die Zukunftsthemen und all das, was vor uns liegt, angehen – sei es die Bewältigung der Corona-Pandemie, die Bekämpfung des Klimawandels, die Digitalisierung oder die Energieversorgung der Zukunft. All das wird nicht ohne Forschung und Innovationen gelingen können. Hierfür brauchen wir gut ausgebildete Menschen. Deswegen sind Wissenschaftskommunikation und Transfer so wichtig. Daneben haben wir natürlich die grundsätzliche Aufgabe als Wegbereiter, damit Innovationen überhaupt entstehen können und auch weiter in Bildung und Wissenschaft investiert wird.

F&L: Wenn Sie einen Wunsch als Bundesministerin frei hätten, was sollte sich ändern?

Bettina Stark-Watzinger: (lacht) Ich habe zwei Wünsche, einen im Bildungs- und einen im Forschungsbereich. In der Bildung besorgt mich, dass die Kompetenzen unserer Grundschülerinnen und Grundschüler kontinuierlich sinken. Seit zehn Jahren. Ich wünsche mir, dass wir uns nicht nur daran messen lassen, wie viele Milliarden Euro wir in Haushalte einstellen, sondern daran, wie viel wir tatsächlich bewirken mit Blick auf die jungen Menschen und ihre Chancen. Für die Wissenschaft wünsche ich mir, dass wir die vielfältige Forschungslandschaft, die wir haben, mehr wertschätzen und die einzelnen Stärken nutzen, um etwas Größeres daraus zu machen und uns weiterzuentwickeln. Mir geht es nicht um Entweder-Oder, sondern um maximale Chancen für jeden Einzelnen und die gesamte Gesellschaft.