Radfahrer auf einem neu markierten breiten Radweg in München
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Verkehrsmanagement
"Radfahren ist hochpolitisch"

Wie sieht die Mobilität von morgen aus? Und wer gestaltet sie? Ein Gespräch mit Deutschlands erster Professorin für Radverkehrsmanagement.

Von Claudia Krapp 07.10.2020

Forschung & Lehre: Frau Dr. Kühl, Sie treten im November die bundesweit erste Professur für Radverkehrsmanagement an, eine von insgesamt sieben Stiftungsprofessuren für Radverkehr, die das Bundesverkehrsministerium dieses Jahr einrichtet. Wie viel fahren Sie selbst mit dem Fahrrad?

Jana Kühl: Das Fahrrad ist derzeit mein Hauptverkehrsmittel für alle Strecken bis etwa 15 Kilometer. Ganz kurze Strecken gehe ich zu Fuß, weitere Strecken fahre ich mit der Bahn oder kombiniere Rad und Bahn. In einer Großstadt wie Kiel geht das. Der Umzug nach Salzgitter für meine neue Stelle an die Ostfalia Hochschule wird für mich eine große Herausforderung. Die Gegend ist weitläufig, der öffentliche Nahverkehr ganz anders als in Kiel. Dennoch möchte ich an meinen Gewohnheiten festhalten und mir kein Auto zulegen, die Radstrecken werden dann wohl weiter werden.

Dr. Jana Kühl auf einem Fahrrad sitzend
Dr. Jana Kühl, derzeit noch an der Uni Kiel, wird Professorin für Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule Ostfalia

F&L: In diesem Corona-Jahr hat das Radfahren einen Boom erlebt, sowohl im Privaten als auch im Pendlerverkehr. Wird er anhalten?

Jana Kühl: Ich würde es mir wünschen. Der Sommer war allerdings ungewöhnlich vorteilhaft fürs Radfahren: sehr trocken, weniger Autoverkehr. Zudem haben sich die meisten Radfahrer in der Corona-Pandemie vom öffentlichen Nahverkehr abgewendet, nicht vom Autoverkehr. Das wird sich mittelfristig wahrscheinlich zurückverlagern. Dennoch glaube ich, dass die Corona-Krise für einige auch eine Initialzündung zum Radfahren gewesen ist. Wie nachhaltig sie dabeibleiben, hängt von ihrer individuellen Wetterrobustheit und der weiteren Entwicklung des Angebots im Radverkehr ab. Eine attraktive Infrastruktur, die bequemes und sicheres Radfahren ermöglicht, motiviert Einsteiger.

F&L: Was fehlt für eine attraktive Rad-Infrastruktur?

Jana Kühl: Es fehlt meist an Schutzzonen für Radfahrende. Radwege werden häufig zugeparkt, sind zu schmal oder verlaufen eng parallel zum motorisierten Verkehr. Dadurch ist die Lage oft unübersichtlich und gefährlich, auch wegen der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dort, wo viel Rad- und Fußverkehr ist, sollten daher zunächst Geschwindigkeitsbegrenzungen für Autos gelten. Im Idealfall würden Autos und Fahrräder getrennte Straßen erhalten.

F&L: Sind die in diesem Sommer entstandenen Pop-Up-Radwege dann eine schlechte Idee? Diese verlaufen ja meist auf den bisherigen Straßen…

Jana Kühl: Entscheidend ist erstmal, dass überhaupt Platz geschaffen wurde für Radfahrende. Die Pop-Up-Radwege sind immerhin breiter als bisherige Wege, oft auch durch physische Barrieren vom Autoverkehr getrennt. Problematisch sind weiterhin die unübersichtlichen Kreuzungen. Entschärfen könnten die Gefahrensituation dort Straßenmarkierungen oder Vorrangschaltungen der Ampeln für Radfahrende.

F&L: Wie sieht ihre Vision des Verkehrs der Zukunft aus?

Jana Kühl: Insgesamt würde ich überall eine Neuaufteilung des öffentlichen Raums vornehmen. Der primäre Faktor, an dem sich alles orientieren muss, wäre dabei nicht wie bisher das Auto, sondern der Fuß- und Radverkehr sowie der ÖPNV. Das Auto soll nicht komplett verbannt werden, aber es muss weniger Raum für Parkflächen und Autoverkehr geben. Gerade im Stadtraum gibt es hier schon Lösungen, die besser funktionieren, sprich weniger Stau verursachen, ökologischer und sicherer sind. Eine Universallösung für jede Stadt oder Region gibt es aber nicht. Manche Orte haben ausreichend breite Straßen, die allen Verkehrsteilnehmenden genügend Raum bieten können, andernorts ist es zu eng dafür.

"Eine Universallösung für jede Stadt oder Region gibt es nicht."

F&L: Von welcher Seite rechnen Sie mit Gegenwehr gegen solche Pläne?

Jana Kühl: Das ist vor allem eine Machtfrage. Das Auto wurde bisher als dominierendes Verkehrsmittel akzeptiert. Die Akzeptanz der anderen Verkehrsteilnehmer schwindet aber kontinuierlich. Auch wegen kultureller Aspekte wie Statussymbol, Bequemlichkeit und Gewohnheit wollen Menschen nicht vom Auto ablassen. Die Lobby für Fuß- und Radverkehr muss deutlich weiter ausgebaut werden, um die Infrastruktur zu ändern und den Leuten den Umstieg zu erleichtern. Die sieben neuen Fahrrad-Professuren sind entsprechend hochpolitisch, weil sie in der öffentlichen Debatte zwischen Autoverkehr und Umweltaspekten ein Zeichen für den Radverkehr setzen und gleichzeitig eine Provokation für kompromisslose Autofahrer sind. Ich hoffe, sie stoßen eine Diskussion an, die sachlich geführt wird. Generell ist Verkehr vielfach noch eine sehr emotionale Aushandlung zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern, wer wieviel Raum beanspruchen kann. Hier müssen wir als Gesellschaft zu einer anderen Wahrnehmung von Radfahrenden kommen und ihnen mehr Raum gewähren.

F&L: Inwiefern spielt es in der Debatte eine Rolle, dass die Verkehrsplanung eine Männerdomäne ist?

Jana Kühl: Die Verkehrsplanung ist momentan eine Ingenieursdisziplin, die rein auf Wachstum des Autoverkehrs ausgerichtet ist. Auf den entscheidenden Positionen der Verkehrsplanung sitzen traditionell männliche Vertreter, auch die mächtige Autolobby ist stark von Männern geprägt. Diese Dominanz ist ein Problem, nicht weil es Männer sind, sondern weil durch ihre private und geschäftliche Präferenz fürs Auto dieses Verkehrsmittel im öffentlichen Raum übermächtig ist. Frauen legen durch ihre berufliche und private Situation nachweislich immer noch geringere Distanzen zurück als Männer und bewegen sich daher auch mehr im Distanzbereich fürs Fahrrad. Sie haben entsprechend andere Bedürfnisse an die Stadtplanung. Diese finden aber weder Gehör noch Umsetzung, weil Frauen in der Verkehrsplanung deutlich unterrepräsentiert sind.

"Auf den entscheidenden Positionen der Verkehrsplanung sitzen traditionell männliche Vertreter."

F&L: Das Einrichten von Fahrrad-Professuren ist ein langer Prozess, um das Verkehrsmanagement neu zu gestalten. Wären Weiterbildungen für Städteplaner nicht pragmatischer?

Jana Kühl: Das schließt sich gegenseitig nicht aus. Sicher müssen wir schnell handeln für eine baldige Verkehrswende. Veränderungen in bestehenden Strukturen durch Schulungen sind sicher kurzfristig hilfreich. Gleichzeitig sind die Denkweisen dieser Strukturen aber über Jahrzehnte gewachsen und so sehr verhaftet, dass ein personeller Wechsel mit frischen Ideen und Herangehensweisen langfristig effektiver ist.

F&L: Sie werden die angehenden Fachkräfte ausbilden: Studierende für Verkehrsmanagement, Logistik und Mobilitätsmanagement, die Verkehrsplaner von morgen. Wieviel Praxisbezug haben die Lehrformate?

Jana Kühl: Exkursionen sind ein wichtiges Element in der Lehre, um Radverkehrslösungen erfahrbar zu machen. Dabei können sich Studierende gute und schlechte Beispiele in der Praxis anschauen und auch Akteure treffen, die an der Umsetzung der Lösungen beteiligt sind. Die Studierenden sollen die bestehenden Prozesse verstehen und relevante Akteure einbinden, um möglichst breite Akzeptanz für Neues zu schaffen. Natürlich gibt es auch klassische Vorlesungen, Seminare und Übungen in meiner Lehre. Hier lohnt es sich, Personen aus der Praxis einzuladen, berichten zu lassen und zu reflektieren, was bei der Umsetzung vergangener Projekte eventuell schief gegangen ist. In Lehre und Forschung wird es auch gemeinsame Projekte mit den sechs weiteren Fahrrad-Professuren geben, um in diesem neuen Feld Synergien zu bilden. Jede der teilweise noch zu besetzenden Professuren wird jedoch eigene Schwerpunkte setzen.

F&L: Was würden Sie an der Infrastruktur in der Umgebung ihres neuen Lehrstuhls ändern?

Jana Kühl: Der Standort Salzgitter ist sehr dezentral und mit dem ÖPNV nicht gut erreichbar. Die meisten Studierenden kommen daher mit dem Auto aus der Region. Ähnliches gilt für die anderen Standorte der Ostfalia. Hier sollten nachhaltige Verkehrslösungen gestärkt werden und die Standorte verkehrlich so erschlossen werden, dass Studierende und Mitarbeiter gerne mit Rad, Bus und Bahn zur Hochschule kommen.