In einem dunklen Raum mit lila anmutenden Lichtwolken sieht man die Silhouette einer Person mit Virtual-Reality-Brille.
HSKL

Welttag Kreativität
Wer attraktiv erklärt, gewinnt Aufmerksamkeit

Komplexe Sachverhalte simpel erklären: herausfordernd für Forschende. Kreativität ist gefragt – Beispiele zum "Welttag Kreativität & Innovation".

Von Christine Vallbracht 19.04.2024

Teilchenphysik als Wissenshäppchen auf TikTok? Forschungsergebnisse aus der Psychologie in einer Bühnenshow? Eine Vorlesung auf dem Schwimmkran im Hamburger Hafen? Wissenschaftliche Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen, erfordert manchmal ungewöhnliche Wege. "Forschung & Lehre" nimmt den "Welttag Kreativität und Innovation" (21.4.) zum Anlass, von inspirierenden Beispielen zu berichten. 

Professorin Julia Metag, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Münster, beschreibt für "Forschung & Lehre" die Bedeutung von Kreativität im Wissenschaftsdialog mit der Öffentlichkeit: "Kreativität ist sicherlich wichtig, um in der großen Masse an Angeboten heutzutage Aufmerksamkeit zu erregen und auch eine nachhaltige Beschäftigung mit dem Thema Wissenschaft erreichen zu können. Umgekehrt gibt es aber auch bereits eine große Bandbreite an Formaten, die je nach Zielgruppe ganz gut funktionieren. Es lassen sich also auch bereits erprobte Formate sinnvoll und erfolgreich einsetzen. Letztlich kommt es häufig darauf an, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Leidenschaft und authentisch kommunizieren. Das allein lässt sie vielfach schon kreativ in ihrer Kommunikation sein". 

"Letztlich kommt es häufig darauf an, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Leidenschaft und authentisch kommunizieren."
Professorin Julia Metag, Kommunikationswissenschaftlerin, Universität Münster

Kreative Kommunikation mit Wohlfühl-Effekt 

Eine dieser kreativen Ausfallstraßen beschritt die Physikerin und Assistenzprofessorin an der Universität Amsterdam, Clara Nellist. Auf der Plattform "wissenschaftskommunikation.de" erzählt sie von ihren informativen Kurzvideos für ihre Zielgruppen auf TikTok: "Für die Wissenschaftskommunikation denke ich, dass wir zu den Menschen gehen sollten, wo sie sich am wohlsten fühlen. Ansonsten bekommen wir nur Leute, die bereits mit der Wissenschaft in Berührung gekommen sind". 

Plattformen wie TikTok böten nach der Meinung der Kernforscherin die Möglichkeit, niedrigschwellig Informationen mit allen möglichen Menschen zu teilen – ganz ohne Druck, für alle Geschlechter und Wissensniveaus. 

Aufmerksamkeit erregen und Feedback analysieren 

Nellist arbeitet am CERN, eine große europäische Organisation für Kernforschung. Ihr Thema ist komplex, aber ihr Wissen über die Kommunikation in modernen Kanälen ebnet ihr den Weg: "Das Schöne an den Trendsounds von TikTok ist, dass es sich dabei um geteilte Witze auf der Plattform handelt. Die Leute beginnen zu lernen, was die Musik oder der Klang bedeutet, sodass sie mit diesem Teil bereits vertraut sind und sich sicher fühlen. Wenn ich darüber hinaus noch etwas Wissenschaft hinzufüge, haben sie schon die Hälfte geschafft".

Sie verlasse sich bei der Weiterentwicklung ihrer Videoformate auf das Feedback ihrer Fans. Werde ihr zu oft gesagt, dass man den Inhalt eines Videos nicht verstehe, probiere sie es auf andere Art erneut. Trial and Error – ganz wie in der Forschung. Kreativität, Herumspielen und das Ausprobieren mit viel Spaß seien die wichtigsten Ingredienzien für eine erfolgreiche Mischung. Nellist plant nun auch längere Erklärvideos und Interviewformate auf YouTube und Instagram. Ihre Fans werden sich freuen. 

Kommunikationswissenschaftlerin Metag hält das gute Zusammenspiel zwischen ansprechenden Formaten und der Kenntnis der eigenen Zielgruppe für ausschlaggebend: "Bei der Kommunikation der eigenen Wissenschaftsthemen ist es vor allem wichtig zu wissen, wer das eigene Publikum ist. Dies ist manchmal schwierig herauszufinden. Je nach Publikum kann sich die Art der Kommunikation unterscheiden. Mit einer jungen, interessierten Zielgruppe kommuniziere ich anders: Ich kann vielleicht gewagtere Formate ausprobieren als bei einer wissenschaftsfernen Zielgruppe, die ich überhaupt erstmal in Kontakt mit der Wissenschaft bringen möchte", erläutert sie gegenüber "Forschung & Lehre".

Wissenschaftskommunikation als Show 

Ein großes Fanpublikum erreicht inzwischen auch der Psychologe Dr. Leon Windscheid mit seinen populärwissenschaftlichen Büchern, Podcasts, TEDx Talks, wissenschaftlichen Kurzvortrags-Turnieren ("Science-Slams") und TV- und Bühnenshows. "Fundiert, faktenbasiert und verständlich" sei seine Wissenschaftskommunikation laut eigener Aussage auf seiner Website. Seine Shows werden als "rasante Expedition in die Welt der Gefühle" beschrieben, mit "überraschenden Einblicken in die neueste Forschung". 

Laut Interview auf "wissenschaftskommunikation.de" treibt Windscheid die erlebte Begeisterung des Publikums für das Wissen an: "Noch lieber als die Leute lachen zu hören, mag ich die Momente, in denen man eine Stecknadel fallen hören könnte, weil es in vielen Köpfen gerade 'Klick' macht. Wenn ich auf der Bühne von einer komplizierten Metaanalyse oder von einer Hirnscan-Studie erzähle und am Ende des Abends die Leute klatschend aufstehen, dann ist das ein unglaubliches Gefühl". 

"Ich mag die Momente, in denen man eine Stecknadel fallen hören könnte, weil es in vielen Köpfen gerade 'Klick' macht."
Psychologe Dr. Leon Windscheid

Forschung aus dem Elfenbeinturm holen 

Doch es braucht nicht unbedingt ein großes schauspielerisches Talent, um komplexes Wissen niedrigschwellig und kreativ zu vermitteln. Professor Hauke Heekeren, Präsident der Universität Hamburg, äußerte sich gegenüber dem "Tagesspiegel" zuversichtlich, was die Möglichkeiten angeht, mit der Bevölkerung niedrigschwellig über wissenschaftliche Themen in Kontakt zu kommen: "Das kann eine Vorlesung zu Diversität im Millerntor sein oder ähnliches. Ich habe eine Vorlesung zum Thema Entscheidungsfindung auf einem Schwimmkran im Hafen gehalten. Da kommen Menschen, die man mit wissenschaftlichen Inhalten sonst nicht lockt." 

Das Talent für kreative Wissenschaftskommunikation hat kürzlich auch ein interdisziplinäres Team mit einer Informatikerin und zwei Kulturwissenschaftlern aus Tübingen bewiesen. Sie entwickelten kooperativ mit Studierenden und vielen weiteren Beteiligten aus der Bevölkerung die Ausstellung "Cyber and the City: Künstliche Intelligenz bewegt Tübingen", die von einem aufwändigen Begleitprogramm flankiert wurde. 

Zu den Veranstaltungen zählten etwa die "Retro Gaming Night meets KI" sowie die in Kooperation mit dem SWR veranstaltete Podiumsdiskussion "Wer kontrolliert KI?". Die Ausstellung zog von Februar bis Anfang Dezember 2023 rund 40.000 Personen unterschiedlicher Altersgruppen an. 

Das "Cyber and the City"-Team wurde für ihre Kreativität von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Stifterverband mit dem "Communicator-Preis 2024" ausgezeichnet – "Forschung & Lehre" berichtete. Den Preis erhalten Forschende, die in ihrer Wissenschaftskommunikation besonders kreativ sind, neue, auch mutige Wege gehen und ihre Zielgruppen auf geeignete und wirksame Weise ansprechen. 

Themen-Schwerpunkt "Kreativität" 

 Kreativität – Was sie ausmacht und wie wir sie fördern. Beiträge dazu finden Sie in unserem Themen-Schwerpunkt "Kreativität".

Die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft auflösen 

Die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft verschwimmen in einem Projekt namens "Soma" von Studierenden der Hochschule Kaiserslautern, das als Objekt bei der Ausstellung "zwölf grad" im Bundesbankbunker in Cochem präsentiert wird. 

Sie laden mit dieser innovativen Installation die Besucherinnen und Besucher ein, in die Welt des Schlafs einzutauchen und dabei bisher unsichtbare, komplexe und individuelle Vorgänge zu erleben. 

Mit einer Kombination aus Kunstinstallation, Virtual Reality, Datenvisualisierung und einer gezielten Farbgestaltung werden die Vielschichtigkeit der Schlafdaten und die Individualität reflektiert. Die Ausstellung regt so ihr Publikum zum Nachdenken über die Bedeutung und den Wert des Schlafs an. 

Wissenschaftskommunikation ist gesellschaftlich relevant 

Kreativität in der Wissenschaftskommunikation wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als gesellschaftlicher Auftrag verstanden. Entsprechend hat das Ministerium einige unterstützende Initiativen gestartet, unter anderem die Austausch- und Lernplattform #FactoryWisskomm. Diese sei nach eigenen Worten auf der Website "ein Radar für neue Entwicklungen und Aufgaben, reflektiert aktuelle Fragen der Umsetzung und dient als Labor für Kreativität, konstruktiven Meinungsaustausch und Vernetzung vielfältiger Akteure in Deutschland und international". 

"Aus der Forschung wissen wir, dass gerade auch die Kommunikation darüber, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert, das Vertrauen in Wissenschaft erhöhen kann."
Professorin Julia Metag, Kommunikationswissenschaftlerin, Universität Münster

Kommunikationsexpertin Metag hält es für das öffentliche Image von Wissenschaft und eine gelungene Vertrauensbildung für wichtig, dass Forschende auch ihre Herangehensweisen erklären: "Es ist ratsam zu überlegen, wie ich die wissenschaftliche Methode, mit der ich die wissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnen habe, kommuniziere. Denn aus der Forschung wissen wir, dass gerade auch die Kommunikation darüber, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert, das Vertrauen in Wissenschaft erhöhen kann".