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Ines Janas

Freies Forschen
Institutes of Advanced Study als "Insel der Seligen"

In Deutschland sind Institutes of Advanced Study (IAS) noch selten. Professor Giovanni Galizia wünscht sich mehr von ihnen. Ein Interview.

Von Katrin Schmermund 28.09.2023

Forschung & Lehre: Herr Professor Galizia, Sie leiten das Zukunftskolleg an der Universität Konstanz, eines der wenigen Institutes of Advanced Study (IAS) in Deutschland. Davon gibt es laut einer Abfrage des Wissenschaftsrats von 2021 gerade einmal 23 Stück. Ihrer Meinung nach bräuchte es deutlich mehr – warum?

Giovanni Galizia: An einem IAS wie dem Zukunftskolleg können sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ganz auf ihre Forschung konzentrieren und sich mit Personen aus unterschiedlichen Fachrichtungen austauschen. Beides macht die IAS für mich zu einem sinnbildlichen Ort für den traditionellen Kern der Universität. Ich verbinde damit das Forschen um seiner selbst willen, das Zelebrieren von Wissen und von (Noch-)Nicht-Wissen. Dieser Geist ist etwas Besonderes. Im Universitätsalltag geht er zunehmend verloren. Es fehlen die Freiräume für Kreativität, die Orte, an denen man nachdenken kann, miteinander in Ruhe ins akademische Gespräch versinken kann, und das lebt, was eine "Universitas litterarum" ist oder sein sollte.

Giovanni Galizia ist Professor für Zoologie und Neurobiologie an der Universität Konstanz und leitet dort das Zukunftskolleg, ein Institute of Advanced Study. Zukunftskolleg Konstanz

F&L: Warum nicht bei der Universität selbst ansetzen?

Giovanni Galizia: Die Struktur der Universität hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert und bedarf viel mehr Verwaltung, sei es für die Gestaltung der Lehre nach genauen Strukturplänen oder für die Akquise von Drittmitteln. Wir können den bürokratischen Aufwand an der ein oder anderen Stelle reduzieren – strukturell etwa durch eine Digitalisierung und Vereinfachung von Abläufen und individuell, indem wir durch verantwortungsvolles Arbeiten das Vertrauen in die Wissenschaft stärken. Um die Verwaltung der zahlreichen Abläufe kommen wir aber nicht herum. Auch ich will ein transparentes Verwaltungsmanagement. Es ist auch ganz normal, dass sich Forschende im regulären Universitätsalltag vor allem mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem eigenen Fach oder daran angrenzenden Bereichen austauschen. Ein IAS ist eine Insel der Seeligen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sich hier für eine gewisse Zeit aus diesen Routinen herausziehen. 

F&L: Wie können auch diejenigen an der Universität profitieren, die selbst nicht an einem solchen Institut sind?

Giovanni Galizia: Über das Kolleg kommen interessante Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die wir sonst nicht hätten gewinnen können. Sie wollen sich auf Forschung statt Lehre konzentrieren, und passen nicht in herkömmliche Stellenpläne oder Fachbereiche. Sie setzen Impulse für neue Themen und Fachrichtungen. In Konstanz können wir durch das Zukunftskolleg als vergleichsweise kleine Universität ein viel breiteres Forschungsspektrum abdecken, als es ohne der Fall wäre. Auch können wir Formate für Karriereberatung oder Schulungen testen, die wir dann auf die ganze Universität übertragen können. 

F&L: Wo bleibt die Verbindung von Forschung und Lehre?

Giovanni Galizia: Viele Institute wie das Zukunftskolleg sind – anders als etwa eines der ältesten IAS in Deutschland, das Wissenschaftskolleg in Berlin – organisatorisch an die Universität angebunden. Die Verbindungen sind eng. Das halte ich für wichtig. Die Fellows am Zukunftskolleg lehren sogar während der Zeit am Kolleg und bereichern durch ihre Forschung auch die Lehre. 

F&L: Wie sieht der Alltag in einem IAS aus? 

Giovanni Galizia: Wir bieten regelmäßige Diskussionsrunden, Mittagessen oder auch "scientific retreats" an, bei denen wir uns konzentriert mit einem Thema beschäftigen. Die meiste Zeit sollen sich die Fellows aber bewusst sehr frei einteilen. Ein fixer und wichtiger Termin am Kolleg ist der wöchentliche Jour Fixe. Zu dem kommen alle Fellows zusammen. Jedes Mal stellt je eine Person ihre Forschung vor und darüber wird diskutiert. Es ist spannend zu sehen, welche Dynamiken im Austausch der Fellows aus verschiedenen Fachrichtungen entstehen. 

F&L: Was sind das für Dynamiken?

Giovanni Galizia: Ich erinnere mich zum Beispiel an eine schöne Situation, in der ein Fellow aus der Philosophie einen Vortrag vorgelesen hat. Der Vortrag war gut, aber vorgelesen. Ein Fellow aus der Chemie sagte im Anschluss, lesen könne er selber, da brauche er nicht zuzuhören. Darauf folgte Stille. Wir waren alle baff. Ein Jahr später musste dieser Fellow seinen Vortrag halten. Da holte er ein Manuskript raus und sagte, er wolle mal probieren, wie das sei, einen Vortrag vorzulesen. Was macht die Kultur und den Kommunikationshabitus einer anderen Disziplin aus? Das lernt man nicht im regulären Hochschulalltag, sondern nur in einem befreundeten Kreis, in dem man sich vertraut. Darüber entstehen Erweiterungen des intellektuellen Horizonts, die wir sonst an der Universität in dieser Vertrautheit und Intensität nicht bieten können.

F&L: Wie lange bleiben die Fellows im Schnitt am Zukunftsinstitut?

Giovanni Galizia: Wir bieten aktuell eine zweijährige und eine fünfjährige Förderung. Das kürzere Format sind Stellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kurz nach der Promotion, um zwei Jahre lang frei zu forschen. Wenn sie die Zeit nutzen, um einen Drittmittelantrag zu stellen, verlängern wir die Förderung um ein drittes Jahr. Das längere Format richtet sich an Postdocs, die eine Forschungsgruppe aufbauen und in ihrer akademischen Community sichtbar werden wollen. Die Fellowships passen wir an sich wandelnde Bedürfnisse an. Gerade diskutieren wir intensiv darüber, wie wir unsere Förderung noch besser an das Tenure-Track-Programm anpassen können. 

F&L: Halten die Verbindungen zwischen den Fellows über die Zeit am Kolleg hinaus?

Giovanni Galizia: Viele Fellows treffen sich weiter, allerdings in kleineren Gruppen. Die akademische Welt ist global und Alumni über sehr viele Länder gestreut. Sie landen in allen möglichen Ländern. Ich habe aber den Eindruck, dass das Bewusstsein für die Vielseitigkeit der Wissenschaft und die damit verbundene Weitsicht bleiben. Das macht sich auch noch Jahre später bemerkbar, zum Beispiel bei Senatsentscheidungen. Wenn ich mich in eine andere Perspektive hineinversetzen kann und Kolleginnen und Kollegen besser verstehe, finden wir eher zusammen und treffen letztlich die besseren Entscheidungen. 

F&L: Wie wählen Sie Ihre Fellows aus und wie viele kommen von Ihrer eigenen Hochschule?

Giovanni Galizia: Etwa zwei Drittel der Fellows sind extern, ein Drittel kommt aus Konstanz. Die Tendenz zu mehr externen Fellows kommt daher, dass wir neue Projekte suchen und von denen gibt es in der Welt mehr als nur bei uns. Wir haben keine Quoten, die eine gewisse Zahl an Fellows aus Konstanz vorschreibt oder ein bestimmtes Verhältnis an Fächern, Geschlecht oder Nationalität. Es kann immer mal sein, dass zum Beispiel ein Fachbereich überwiegt. Das liegt daran, dass Fellows andere Fellows anziehen. Wir achten darauf, dass es sich über die Jahre ausgleicht. Der Auswahlkommission hilft zu wissen, dass wir zwangsläufig viele sehr gute Kandidatinnen und Kandidaten ablehnen müssen, die wir eigentlich gerne aufnehmen würden. Das gibt uns Flexibilität bei der Berücksichtigung von Diversitätskriterien in der Auswahl. Wo wir dabei noch besser werden müssen, ist die kulturelle Diversität. 

F&L: Da sieht auch der Wissenschaftsrat in seiner von 2021 noch Luft nach oben – was tun Sie konkret, um die Diversität am Zukunftskolleg zu stärken?

Giovanni Galizia: Wir haben ein spezielles Förderprogramm für Forschende aus dem globalen Süden aufgesetzt. Sie kommen drei Monate ans Kolleg und arbeiten im Anschluss noch neun weitere Monate aus ihrem Heimatland mit anderen Fellows zusammen. Das machen wir, weil wir keinen sogenannten "Brain Drain" in diesen Ländern provozieren wollen. Vergleichbare Angebote müssen wir ausbauen. Die akademische Welt umfasst noch längst nicht alle Staaten. 

F&L: Wie können Sie am Zukunftskolleg und wir gesellschaftlich noch schneller vorankommen? 

Giovanni Galizia: Wichtig ist, sich von der oft noch vorherrschenden Vorstellung zu lösen, dass es einer Form von Entwicklungshilfe bedarf, wenn Menschen aus einem vergleichsweise reichen Land mit Menschen aus einem vergleichsweise armen Land zusammenarbeiten. Auf der ganzen Welt leben intelligente Menschen. Nach diesem Verständnis sollten wir individuell und als Gesellschaft noch stärker leben und gleichberechtigt miteinander umgehen. Als Direktor des Zukunftskollegs muss ich dieses Bewusstsein haben und die notwendigen Strukturen schaffen, damit andere dem folgen können. Wenn mir dieses Bewusstsein fehlt, scheitert es schon an fairen Auswahlverfahren. Ich muss auch vertraute Kontakte in verschiedene Länder haben, um zum Beispiel ein Gutachten richtig lesen zu können. In einem Land ist ein Wort ein Zerriss der Forschung, in einem anderen Land ist es das Weglassen einer Aussage. Diese Vernetztheit und Offenheit ist essenziell, um gute Wissenschaft zu leben.

Was sind Institutes for Advanced Study?

Das "Zukunftskolleg" der Universität Konstanz ist ein Institute for Advanced Study (IAS). Es richtet sich an Forschende am Anfang ihrer Karriere nach Abschluss der Promotion. Am Zukunftskolleg sollen sie Zeit für freies Forschen und den Austausch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus anderen Fachrichtungen haben. Das Zukunftskolleg wurde vom damaligen Rektor der Universität Konstanz, Gerhart von Graevenitz, im Jahr 2001 als "Zentrum für den wissenschaftlichen Nachwuchs" (ZWN) gegründet. Seit 2007 heißt es Zukunftskolleg. Finanziert wird es seitdem über Geld aus der Exzellenzstrategie (früher: Exzellenzinitiative).

Die Idee der IAS geht auf den amerikanischen Pädagogen und Wissenschaftsorganisatoren Abraham Flexner zurück. Er war Mitbegründeter und erster Direktor des 1930 eröffneten IAS in Princeton, New Jersey. Mit dem Institut wollte Flexner exzellente Wissenschaft, speziell die Grundlagenforschung stärken. Das Institut hat enge Verbindungen mit der dortigen Universität, ist aber eigenständig. Das Institut ist als letzte Wirkungsstätte Albert Einsteins und als Zufluchtsort vieler weiterer aus Deutschland geflüchteter Forschender während des Nationalsozialismus bekannt. Jedes Jahr vergibt das Institut 200 Stipendien an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt.

Institutes for Advanced Study in Deutschland

Das erste IAS in Deutschland wurde 1968 mit dem "Zentrum für interdisziplinäre Forschung" (ZiF) in Bielefeld gegründet. Es fördert Forschungsgruppen, die gemeinsam an interdisziplinären Themen arbeiten. 1981 folgt die Gründung des Wissenschaftskolleg zu Berlin mit einem Fokus auf den Geisteswissenschaften. Anders als das ZiF und viele der in den 2000er Jahren gegründeten IAS im Rahmen der Exzellenzinitiative ist es bis heute eigenständig und nicht Teil einer Universität. Inzwischen ist die Zahl der IAS in Deutschland auf gut 20 Institute gestiegen (Stand: 2021, Wissenschaftsrat).

Weitere Informationen: Entwicklungsperspektiven von Institutes for Advanced Studies (IAS) in Deutschland, Wissenschaftsrat