Umfrage Teil II
Wissenschaft als attraktiver Arbeitgeber – zweiter Teil
Segets: Stellenprofile mit definierten Übergangsmöglichkeiten
Das deutsche Wissenschaftssystem ist durch eine große Heterogenität der Karrierewege und einer zwangsläufig vielschichtigen Unsicherheit in der Phase zwischen Promotion und Professur gekennzeichnet. Dies wirkt in Zeiten des Fachkräftemangels maßgeblich auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit und mindert die Attraktivität wissenschaftlicher Einrichtungen als Arbeitgeber im Inland.
In der Jungen Akademie sehen wir insbesondere die Differenzierung promovierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anhand der R-Profile in R2 (frühe Postdocs) und R3 (etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler) als wichtiges Instrument (* siehe Infobox). Nur so gelingt es, dieser heterogenen Gruppe gerecht zu werden und für hochqualifizierte, aufstrebende Kolleginnen und Kollegen attraktiv zu sein. Die R-Profile sind dabei vor allem nützlich, um Stellenkategorien und Laufbahnen neben der Professur, z.B. im Bereich der Forschung, der Lehre und im Wissenschaftsmanagement, zu definieren und auszugestalten.
Konkret grenzen sich etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (R3) insbesondere durch ihre bereits erlangte wissenschaftliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von anerkannten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (R2) ab und stehen daher im Fokus der Frage nach Arbeitgeberattraktivität. Eine Eigenständigkeit zeigt sich darin, dass sie in ihrem Feld bekannt sind, ein eigenes Forschungsprogramm verfolgen, durch Kooperationen zur Weiterentwicklung des Wissens und der Forschung in ihrem Feld beitragen und kollaborative Forschungsprojekte leiten sowie als führende Autorin oder führender Autor wissenschaftliche Artikel publizieren und Workshops sowie Konferenzsitzungen organisieren.
*Der bisher im deutschen Wissenschaftssystem übliche Begriff "Nachwuchs" für alle Abschnitte vor der Professur wird ersetzt durch die von der Europäischen Kommission definierten Profile R1 (Wissenschaftler/-innen vor der Promotion), R2 (anerkannte Wissenschaftler/-innen - frühe Postdoc-Phase), R3 (etablierte Wissenschaftler/-innen – Habilitierende, "Junior"gruppenleiter/-innen u.ä., aber auch Dauerstelle neben der Professur), R4 (führende Wissenschaftler/-innen – Professor/-innen). Vgl.: euraxess.ec.europa.eu/europe/career-development/training-researchers/research-profiles-descriptors.
Darüber hinaus werben R3-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler Mittel für ihre Forschungszwecke ein, entwickeln ihre professionelle Karriere und die dafür erforderlichen Kompetenzen weiter und betätigen sich als Mentorin oder Mentor. R3-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler erfüllen damit (noch) nicht alle Kompetenzen führender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (R4), deren Forschung international sichtbar ist und die substanzielle Beiträge (Durchbrüche) in ihrem Feld oder über mehrere Forschungsfelder hinweg erlangen.
Drei Hürden hin zur Attraktivitätssteigerung gilt es zu überwinden.
Erstens die fehlende einheitliche Begriffspraxis: Eine klare und an das deutsche System angepasste Definition von R3 ist zwingend notwendig. Diese wird benötigt, um die Übergänge zwischen den Karrierephasen klar zu differenzieren.
Zweitens ist für die Schaffung von R3-Stellen, die einer langfristigen Perspektive bedürfen, bisher oft unklar, was als wissenschaftliche Daueraufgabe gezählt werden soll, wie die Differenzierungen von wissenschaftlichen zu nicht-wissenschaftlichen Karrieren geregelt sind und wie ein Aufstieg erfolgen kann.
Drittens spielt die Finanzierung einer Stelle (Grundfinanzierung und/oder Drittmittel) oft eine maßgebliche Rolle. Dies betrifft sowohl den Umgang mit der Lehrverpflichtung als auch etwaige Aufstiegsoptionen.
Fazit: Wir brauchen klare Stellenprofile mit definierten Übergangsmöglichkeiten zwischen den Karrierestufen, beispielsweise durch Tenure Track, die das Erreichte und die hinter dem Erreichten stehenden Menschen wertschätzen. Die aktive Gestaltung des Spannungsfelds zwischen wissenschaftlicher Eigenständigkeit einerseits und der persönlichen Weiterentwicklung junger Kolleginnen und Kollegen durch Betreuung und Mentoring andererseits spielt dabei eine wichtige Rolle. Wenn es gelingt, dies in konkrete und nachvollziehbare Stellenprofile zu übersetzen, stellt dies einen wichtigen Schritt zur Steigerung der Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschland dar.
Hochschulentwicklung – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"
Die Maiausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt der "Hochschulentwicklung". Auch haben wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, wie die Wissenschaft als Arbeitgeber attraktiv bleibt.
Dies ist der zweite Teil der Umfrage. Den ersten Teil finden Sie hier.
Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – reinlesen lohnt sich!
Unterstützerinnen von #profsfuerhanna: Hochschulstruktur in Deutschland überdenken
Die Initiative #profsfuerhanna ist aus der Kritik an der 2023 vom BMBF vorgestellten Novelle des WissZeitVG entstanden. Von den dabei beteiligten hunderten Professorinnen und Professoren quer durch die Disziplinen, Regionen und institutionellen Formen haben viele ausführlich und umsichtig öffentlich sowie in Anhörungen Stellung bezogen, Kritik formuliert, Erfahrungen eingebracht, Alternativen aufgezeigt, konkrete Vorschläge gemacht.
Davon ist im aktuellen Entwurf allenfalls ein minimales Echo zu hören. Der Debattenverlauf führt die Mut- und Fantasielosigkeit der aktuellen Wissenschaftspolitik vor und begründet die verärgerte Frustration, die sich bei den Betroffenen – und dazu gehören Professorinnen und Professoren ebenso wie der Mittelbau – breit macht. Wer exzellente, innovative, international konkurrenzfähige und nachhaltige Wissenschaft will, braucht ausgezeichnete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie eine stabile Infrastruktur.
Beides wird in Deutschland seit Jahrzehnten geschliffen und wir merken das deutlich. Tatsächlich arbeiten über 85 Prozent des akademischen Personals in Deutschland hoch prekär, tatsächlich sinkt die Grundfinanzierung der Hochschulen beständig, tatsächlich hängt das System Wissenschaft am Drittmitteltropf.
Notwendig sind in diesem Lichte nicht nur punktuelle Ver(schlimm)besserungen, sondern grundlegende Reformen. Hier erweisen sich die strukturellen Bedingungen des Hochschulsystems mit seinen wesentlichen und aus guten Gründen zu schützenden Elementen der Zuständigkeit der Länder, der Hochschulautonomie und dem Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre als besonders herausfordernd. Alles hängt mit allem zusammen, niemand hält sich für wirklich zuständig und die eigenen, insbesondere professoralen Traditionsprivilegien scheinen alternativlos.
Doch es gibt inzwischen bei vielen Professorinnen und Professoren und manchem forschungspolitischen Akteur die Bereitschaft, gewisse Axiome der deutschen Hochschulstruktur nüchtern zu überdenken. Unsinnig scheint uns zum Beispiel der hierzulande tief verankerte Dualismus von der Professur "und dem Rest". Die darin verankerte Definition der PostDoc-Phase als Qualifizierungszeit, als „Nachwuchs“-Kinderstube, dient nicht nur als Vorwand für die längst ausgeartete Befristungspraxis der Universitäten.
Sie unterhöhlt zudem Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte in einer Weise, wie sie in anderen Branchen kaum denkbar wäre. Was spricht eigentlich noch für diese Struktur? Wieso nicht nachdenken über langfristige bzw. entfristete Karriere- und Stellenoptionen bereits zu Beginn der Postdoc-Phase, das heißt deutlich mehr (langfristige beziehungsweise Dauer-)Stellen in der Breite? So machen es viele andere, hoch kompetitive und erfolgreiche Wissenschaftsstandorte weltweit, und dorthin gehen die exzellenten Postdocs derzeit.
Wenn die Universitäten zu attraktiven Arbeitgebern werden wollen, müssen sie auch ihr akademisches Personal und deren Rechte ernstnehmen. Dazu zählt übrigens auch die strukturelle Ermöglichung von Care, also von Familien- und anderen Sorgebeziehungen der Forschenden.
Dafür sind kleine und große Reformschritte notwendig: Das Schaffen einer deutlich höheren Zahl von Dauerstellen nach der Promotion: Eine effektive Beschränkung der Befristungspraxis, beispielsweise durch Höchstquoten pro Hochschule beziehungsweise Bundesland. Eine großflächige, planvolle Umwandlung von kompetitiv vergebenen Drittmitteln in eine nachhaltige Grundfinanzierung der Universitäten, die das überbordende Antrags-, Begutachtungs- und Berichtswesen einhegen würde, das zunehmend die eigentliche Forschung verdrängt.
Die Trennung von Betreuung und Begutachtung in Qualifikationsarbeiten, um die wissenschaftliche Qualität zu erhöhen und Machtmissbrauch entgegenzuwirken. Die tatsächliche, nicht nur rhetorische, Abschaffung des Lehrstuhlprinzips zugunsten von zum Beispiel Departmentstrukturen mit effizienter gepoolter Infrastruktur. Die angemessene Einbeziehung aller Beschäftigten in Gremien der self-governance. Transparente und effiziente Beschwerdestrukturen durch unabhängige Instanzen. Die #profsfuerhanna sind hierzu bereit.