Rauchschwaden aus Kaminen eines Heizkraftwerks und eines Müllheizkraftwerks zum Sonnenuntergang
mauritius images / SZ Photo Creative / Jochen Eckel

Klimabericht "Climate Change 2021"
Weltklimarat mahnt zum sofortigen Handeln

Der neue IPCC-Bericht offenbart bisherige Versäumnisse im Klimaschutz. Lässt sich der Schaden noch abwenden? Wie gelingt die Umkehr?

09.08.2021

Der Klimawandel schreitet schnell voran und nimmt immer größere Ausmaße an. Klimaveränderungen sind inzwischen in jeder Region und Klimazone der Welt zu beobachten. Viele dieser Veränderungen treten zum ersten Mal seit Tausenden von Jahren auf; einige von ihnen bräuchten Hunderte oder gar Tausende Jahre, um rückgängig gemacht zu werden. Ein komplettes Zurück gibt es nicht mehr, aber noch bleibt Zeit, zu handeln, um die Erderwärmung und ihre Folgen zu begrenzen. Das geht aus der neuesten Beurteilung des Weltklimarats der Vereinten Nationen – dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – hervor, die am Montag in Genf veröffentlicht wurde.

Seit dem letzten Bericht 2014 haben demnach Extremereignisse, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, weltweit zugenommen. Vergangene Prognosen und Modellierungen haben sich überwiegend bewahrheitet. Die Jahre von 2015 bis 2020 waren die wärmsten seit Messbeginn der Weltwetterorganisation. Selbst bei einem künftigen harten Durchgreifen im Klimaschutz werden aktuelle Klimaentwicklungen noch Jahre andauern – vergleichbar mit einem sehr langen Bremsweg. Die Klimafolgen werden daher in jedem Fall zunächst noch schlimmer.

Lässt sich der Klimawandel also nicht mehr aufhalten? Die dem Bericht zugrunde liegenden Forschungsdaten zeigen, dass die Welt derzeit auf eine Erwärmung um mindestens 3 Grad Celsius bis 2100 zusteuert. Das Ausmaß der Erderwärmung lässt sich aber generell noch reduzieren. Dafür müssten die Menschen jedoch ab sofort und konsequent hohe Mengen an Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen reduzieren, mahnt der Klimarat in seinem Bericht. So könnten sich die globalen Temperaturen in 20 bis 30 Jahren stabilisieren, im besten Fall sogar langfristig wieder leicht sinken. Andernfalls könnte die Erderwärmung nicht auf das in Paris gesetzte Ziel von 1,5 oder selbst 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt werden.

Der Fokus müsse dabei auf CO2 als dem Hauptreiber des Klimawandels liegen. Um das Klima zu stabilisieren, müsse die Menschheit mindestens Netto-Null-Emissionen an CO2 erreichen. Zusätzliche Reduktionen von anderen Treibhausgasen und Luftschadstoffen hätten ebenfalls eine positive Klimawirkung. Besonders eine Methanreduktion könne kurzfristig Zeit verschaffen und das Erreichen von Kipppunkten verhindern. Langfristig führe aber kein Weg an CO2-Reduktionen vorbei, da CO2 etwa zehnmal länger als Methan in der Atmosphäre verbleibe, sich dort akkumuliere und so eine andauernde Klimawirkung entfalte, erklärte Mitautorin Kiendler-Scharr vorab. Pro 1.000 Gigatonnen an kumulierten CO2-Emissionen wird laut Bericht die globale Oberflächentemperatur voraussichtlich um 0,27 bis 0,63 Grad Celsius erhöht. Insgesamt sei das verbleibende Budget der Menschheit für klimaschädliche Emissionen stark begrenzt.

Je wärmer die Erde, desto schlimmer die Folgen

Menschgemachte Treibhausgasemissionen hätten die Erde seit Beginn des Industriezeitalters (1850-1900) bereits um rund 1,1 Grad Celsius erwärmt. In Deutschland sogar um rund 1,6 Grad Celsius, wie Mitautorin Astrid Kiendler-Scharr in der Vorberichterstattung sagte. Die 1,5 Grad-Schwelle ist laut Bericht im globalen Schnitt wahrscheinlich innerhalb der kommenden 20 Jahre erreicht oder überschritten. In allen Teilen der Welt müssten Menschen in den kommenden Jahrzehnten zunehmend mit Hitzewellen und längeren Sommern rechnen. Dabei gelte: Umso wärmer die Erde, desto dramatischer die Klimawandelfolgen. Kritische Schwellen für die Landwirtschaft und die menschliche Gesundheit würden beispielsweise bei einer 2 Grad-Erwärmung häufiger erreicht als in einer 1,5 Grad wärmeren Welt. Insbesondere Landflächen und die Arktis erwärmten sich zudem schneller als im globalen Durchschnitt; die Folgen des Klimawandels seien dort entsprechend stärker und früher zu spüren, vor allem in Städten.

Neben Hitze und Dürren seien in den kommenden Jahrzehnten auch Veränderungen bei Wind, Niederschlägen und in den Ozeanen zu erwarten – darunter häufiger Starkregen und Hochwasser, höhere Meeresspiegel und Überflutungen sowie schnellere Schmelzprozesse in Permafrostgebieten, Gletschern und Eisschilden. Jahrhundertfluten könnten zum Ende des Jahrhunderts jährlich stattfinden. Die Meere werden laut Bericht mindestens bis 2100 stetig noch wärmer, saurer und sauerstoffärmer – mit drastischen Folgen für die marinen Ökosysteme und die CO2-Speicherkapazität der Meere.

Um die gesellschaftlichen und ökologischen Folgen für einzelne Regionen konkreter abschätzen zu können und risikobasierte lokale Anpassungen durch Entscheidungsträger zu ermöglichen, enthält der aktuelle Klimabericht zum ersten Mal auch Beurteilungen zu regionalen Klimafolgen. In einem interaktiven Atlas kann jeder die regionalen Risiken detailliert erkunden. Zwar lassen sich diese nicht konkret für einzelne Länder wie Deutschland vorhersagen, jedoch für Regionen wie Mittel-West-Europa.

Komprimiertes Klimawissen aus jahrelanger Forschung

Der aktuelle Bericht "Climate Change 2021" ist der erste von insgesamt drei Teilen des Sechsten Sachstandsberichts (AR6) des Weltklimarats. Die Arbeitsgruppe I hat darin den aktuellen Wissensstand der internationalen Klimaforschung zu den "Physikalischen Grundlagen" des Klimawandels zusammengetragen. 234 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 66 Ländern haben dafür mehr als 14.000 Publikationen ausgewertet. Die Regierungen der 195 Mitgliedsstaaten des IPCC haben diesen Bericht am vergangenen Freitag nach zwei Wochen andauernder virtueller Diskussionen verabschiedet und damit die Arbeit der Forschenden zur Kenntnis genommen.

Die Teilberichte II und III sollen im Frühjahr 2022 veröffentlicht werden. Ihr Fokus wird auf den Klimafolgen und Handlungsmöglichkeiten liegen. Seit dem letzten IPCC-Bericht 2014 und dem daraus resultierenden Pariser Klimaabkommen (2015) sind vom Klimarat bereits drei Zwischenberichte zu Klimafolgen der 1,5 Grad-Erwärmung (2018) für Land und Wasser (je 2019) erschienen. Der erste IPCC-Bericht erschien 1990 und diente als Basis für die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. Seither warnt der Klimarat vor den verheerenden Folgen der Erderwärmung, seine Beurteilungen dienen weltweit als wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen zum Klimaschutz.

Der menschengemachte Klimawandel ist unter Experten seit Jahren unumstritten und klar wissenschaftlich belegt, manche Zusammenhänge bleiben aber im Detail noch unverstanden. Maßgebliche Fortschritte habe die Klimawissenschaft in den letzten Jahren bezüglich der Zuordnung und Gewichtung von einzelnen Klimaeinflüssen und ihren Folgen gemacht, erklärte Valérie Masson-Delmotte, Co-Vorsitzende der für den Bericht verantwortlichen Arbeitsgruppe. "Wir haben jetzt ein viel klareres Bild des vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Klimas, was essentiell für das Verständnis ist, wohin die Reise geht, was getan werden kann und wie wir uns vorbereiten können", sagte Masson-Delmotte.

Ob die Politik danach handelt, wird sich bei der nächsten Weltklimakonferenz zeigen, die im November in Glasgow stattfindet.

ckr