Lebenslanges Lernen
Wie steht es um die "Bildungsrepublik Deutschland"?
Das 2008 beim "Bildungsgipfel" formulierte Ziel, die Quote der Schulabgänger und Schulabgängerinnen ohne Abschluss von damals acht Prozent auf vier Prozent des entsprechenden Altersjahrganges bis zum Jahr 2015 zu halbieren, war ein Schritt in die richtige Richtung. Ein erfolgreicher Schulabschluss ist so etwas wie die Mindestvoraussetzung, sollte er doch bestätigen, dass die Person die grundlegenden Kompetenzen wie Schreiben, Lesen und Rechnen beherrscht. Daher ist es grundsätzlich sinnvoll, den Anteil der Personen ohne Schulabschluss zu verringern. Dieses Ziel ist allerdings bis heute nicht erreicht: Ausgehend von der tatsächlichen Quote von 7,4 Prozent im Jahr 2008 zeigt sich zwar ein leichter Rückgang auf bis zu 5,7 Prozent im Jahr 2015, allerdings steigt die Quote seither auch wieder an und lag im vergangenen Jahr bei 6,8 Prozent, also fast wieder beim Ausgangswert.
Zwar ist ein Teil des Wiederanstiegs auch durch den temporär starken Zuzug der vergangenen Jahre zu erklären, durch den viele junge Menschen mit geringen Deutschkenntnissen nach Deutschland gekommen sind. Das erklärt aber nicht, warum die Quote von vier Prozent auch im Jahr 2015 nicht erreicht wurde. Betrachtet man die Gruppe der Jugendlichen ohne Schulabschluss etwas genauer, dann zeigen sich zwei Teilgruppen: die Jugendlichen, die das Regelschulsystem besuchen und diejenigen, die eine Förderschule mit unterschiedlichen Schwerpunkten besuchen.
Während der Anteil ohne Schulabschluss in der ersten Gruppe zwischenzeitlich von 4,8 auf 3,8 Prozent des Altersjahrgangs sank, dann aber wieder auf 5,0 Prozent – und damit auf einen höheren Wert als zu Beginn – anstieg, hat sich die zweite Gruppe von 2,5 auf 1,8 Prozent verringert. In der Summe ergibt sich somit der Wert von 6,8 Prozent des Altersjahrgangs. Betrachtet man die Bundesländer, dann haben (über) zehn Prozent der Schulabgänger in den ostdeutschen Ländern und Berlin keinen Schulabschluss. Während man in Berlin auf den hohen Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund beziehungsweise Eltern mit geringem Bildungsniveau verweisen kann, gilt das in den ostdeutschen Flächenländern nur sehr bedingt.
Ein weiterer und unseres Erachtens wichtiger Punkt sollte ferner nicht übersehen werden: Laut Pisa-Studie 2018 haben knapp 20 Prozent der 15-Jährigen so geringe Deutschkenntnisse, dass sie selbst einfache Sätze inhaltlich kaum verstehen und so geringe Mathekenntnisse, dass sie höchstens einfachste Aufgaben rechnen können. Das ist zwar weniger als in der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000, aber dennoch mehr als bei der letzten Studie 2015.
Diese Quote bedeutet zudem, dass ein erheblicher Anteil der Jugendlichen, die einen Schulabschluss erhalten, faktisch nicht rechnen, schreiben und lesen kann. Es fehlen ihnen damit die zentralen Voraussetzungen für einen gelingenden Übergang in die berufliche Ausbildung beziehungsweise das Erwerbsleben. Bei Unternehmen führt dies zur Verunsicherung, wie sie insbesondere einen Hauptschulabschluss einschätzen beziehungsweise auf welchen Wegen sie die tatsächlichen Kompetenzen von Jugendlichen sachgerecht einschätzen sollen.
Dies führt dazu, dass nicht nur Jugendliche ohne Schulabschluss, sondern auch solche mit einem Hauptschulabschluss schlechte Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben. Entsprechend machen sich laut DJI (Deutsches Jugendinstitut) fast die Hälfte der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Das Fehlen von beruflichen Perspektiven führt unter anderem dazu, weiterhin die Schule zu besuchen und einen höheren Schulabschluss anzustreben.
Junge Erwachsene ohne abgeschlossene Berufsausbildung
Der BIBB-Datenreport 2019 zeigt, dass die Quote der 20- bis 34-Jährigen, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, von 17 Prozent in den Jahren 2005 beziehungsweise 2006 auf 13,3 Prozent im Jahr 2014 beziehungsweise 13,4 Prozent in 2015 gesunken ist. Dies ist zwar eine Verringerung um knapp ein Viertel, bleibt aber deutlich über dem Zielwert von 8,5 Prozent. Der Anstieg in den Folgejahren ist unter anderem durch die hohe Zuwanderung bedingt, durch die zu großen Teilen Personen ohne formalen Ausbildungsabschluss nach Deutschland gekommen sind. Interessant sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern: hier zeigen sich in den ostdeutschen Ländern deutlich geringere Quoten an Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung als in den westdeutschen.
Zwei Gründe sind für den weiterhin hohen Anteil von Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung maßgeblich: der hohe Anteil an jungen Menschen ohne Schulabschluss beziehungsweise an funktionalen Analphabeten (siehe oben) trägt dazu bei, dass viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden sowie die deutlich gesunkene Zahl an Ausbildungsplätzen und -verträgen im dualen System. Seit über einem Jahrzehnt müssen jedes Jahr über 250.000 junge Menschen im sogenannten Übergangssystem versorgt werden, weil sie keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Zum Vergleich: Das entspricht 20 Prozent aller jungen Menschen, die eine Ausbildung oder ein Studium neu aufnehmen.
Statistisch gesehen entspricht der Anteilswert an funktionalen Analphabeten dem Anteil der Personen ohne Ausbildungsabschluss. Allerdings zählen Studienabbrecher und -abbrecherinnen ebenso zu den Personen ohne abgeschlossene Berufsbildung wie diejenigen, die zwar das erste Staatsexamen erfolgreich bestanden haben, nicht aber das zweite.
Kita-Plätze: Verpasste Chance zu mehr Bildungsgerechtigkeit
Bis zum 1. August 2013 sollte für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren ein Angebot in der Kindertagesbetreuung bereitgestellt werden, ergänzend sollte das dafür erforderliche pädagogische Personal ausgebildet werden.
Am 26. September 2019 teilte das Statistische Bundesamt mit, dass die Zahl der unter dreijährigen Kinder in Kindertagesbetreuung zum 1. März 2019 auf 818.500 Kinder angestiegen ist, wodurch eine Betreuungsquote von 34,3 Prozent erreicht wurde. Dies bedeutet, dass der für 2013 angepeilte Zielwert nunmehr fast erreicht ist. In den westdeutschen Ländern beträgt die durchschnittliche Quote 30,3 Prozent, in Ostdeutschland (mit Berlin) 52,1 Prozent. Allerdings wünschen sich mittlerweile 48 Prozent der Eltern einen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind.
Parallel ist die Zahl der Beschäftigten im Bereich der Kindertagesbetreuung seit 2008 von 365.000 auf 596.000 in 2018 angestiegen beziehungsweise von 476.000 auf 768.300, wenn auch die Kindertagespflege berücksichtigt wird. Gleichwohl ist trotz des beachtlichen Anstiegs festzustellen, dass immer noch ein großer ungedeckter Fachkräftebedarf besteht, der angemessene Betreuungsrelationen verhindert und auch dazu führt, dass Plätze, die genehmigt sind, nicht belegt werden können. Der insgesamt unzureichende Platzbedarf führt dazu, dass insbesondere Kinder aus bildungsfernen Familien beziehungsweise mit Migrationshintergrund keinen Kita-Platz erhalten beziehungsweise nachfragen, der für eine Verbesserung ihrer zukünftigen Bildungsaussichten wichtig wäre. Es gelingt daher bereits an dieser zentralen Stelle nicht, die Kinder zu erreichen, die davon am meisten profitieren würden.
Weiterbildungsbeteiligung unter Erwerbstätigen steigt
Weiterbildung ist ein wichtiger Treiber für Wirtschaftswachstum und Innovation, insbesondere, wenn sie im Zusammenspiel mit lernfreundlichen Arbeitsplätzen steht. Komplexe Aufgaben erzwingen fast schon permanentes Lernen. Wird dieses durch formalisierte Formen der Weiterbildung ergänzt, dann steigert dies das Wachstum und den Innovationsoutput. Ein weiterer Wachstumsschub entsteht, wenn die Weiterbildungsbeteiligung von Frauen hoch ist. Aber auch unabhängig von diesem ökonomischen Motiv besteht ein erhebliches politisches Interesse daran, die Weiterbildungsbeteiligung zu erhöhen: Deutschland war hier lange Zeit allenfalls Mittelmaß – und ist es auch heute bisweilen noch, je nachdem, welcher Indikator herangezogen wird.
Vor diesem Hintergrund war es nur konsequent, dass sich Bundes- und Landesregierungen im Jahr 2008 das Ziel setzten, die Weiterbildungsbeteiligung von 43 auf (mindestens) 50 Prozent zu erhöhen. In den Jahren 2000 bis 2010 lag die Beteiligungsquote an Weiterbildungen bei knapp über 40 Prozent. Seit 2012 ist sie angestiegen und die Weiterbildungsquote beträgt kontinuierlich rund 50 Prozent, zumindest, wenn man den Adult Education Survey zugrunde legt. Damit kann man formal sagen, dass der oben genannte Zielwert erreicht wurde. Nach dem Mikrozensus liegt die Quote für das Jahr 2016, bezogen auf die letzten zwölf Monate vor der Befragung, allerdings nur bei 17,4 Prozent; es kommt somit auf die Definition an, was Weiterbildung umfasst. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 lag die Quote bei 18,4 Prozent. Nach diesem Indikator wäre die Weiterbildungsbeteiligung demnach gesunken.
Den größten Anteil macht die betriebliche Weiterbildung aus, während die individuelle, berufsbezogene Weiterbildung laut Statistischem Bundesamt (2018) nur einen Anteil von rund zehn Prozent hat. Auch wurden trotz höherer Quote die unterschiedlichen Beteiligungsmuster nicht überwunden. Das heißt, es partizipieren weiterhin insbesondere besser Qualifizierte an Weiterbildung, während die geringer Qualifizierten unterdurchschnittlich teilnehmen. Eine Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung würde eine deutlich verbesserte Weiterbildungsförderung erfordern, die derzeit lediglich kleine Zielgruppen adressiert.
Deutlicher Anstieg bei Studierenden
Deutschland hatte lange Zeit eine im internationalen Vergleich sehr niedrige Studierenden- und Studienanfängerquote. Angesichts eines dynamischen Trends zur Höherqualifizierung beziehungsweise höheren Anforderungen in vielen Berufen war es daher nur konsequent, einen höheren Zielwert anzustreben, auch wenn dies vielfach – und bisweilen polemisch (Stichwort: Akademisierungswahn) – kritisiert wurde. Angesichts der sogenannten doppelten Abiturjahrgänge zwischen 2008 und 2015 war es ein Leichtes, den angestrebten Zielwert deutlich zu überschreiten. Innerhalb weniger Jahre stieg die Zahl der Studienanfänger und Studienanfängerinnen von 350.000 auf über 500.000 und damit auch die Studienanfängerquote deutlich an und verweilt seither auf diesem Niveau. Folgt man der aktuellen KMK-Prognose, dann wird das auch im kommenden Jahrzehnt so bleiben.
Die Gründe für die steigenden Studienanfängerzahlen sind vielseitig: Neben den doppelten Abiturjahrgängen ist auch die steigende Zahl an Studierenden zu erwähnen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben hat, wie die höhere Quote unter Einbeziehung der "Ausländer" zeigt. 2018 machten sie mit 125.600 über 20 Prozent der Studienanfänger und Studienanfängerinnen aus. Zum anderen erwerben immer mehr Personen eine Studienberechtigung durch berufliche Qualifikation, Begabten- oder Externenprüfungen. Daneben ist ein anhaltender Trend zum Besuch weiterführender Schulen zu beobachten, die zum Erwerb der Studienberechtigungen führen. Dabei erwerben fast 40 Prozent der Studienberechtigten diese über die berufliche Bildung und nicht über das klassische Abitur.
Bildungsausgaben vergleichsweise gering
Deutschland wird seit Jahren, unter anderem von der OECD, dafür kritisiert, dass es zu wenig für Bildung ausgibt: Nach den aktuellsten Informationen, die sich auf das Jahr 2017 beziehen, betragen die Bildungsausgaben 6,3 Prozent des BIP – 2008 waren es 6,2 und 2010 sogar 6,8 Prozent. Das heißt, trotz höherer Bildungsbeteiligung gibt Deutschland – relativ gesehen – weniger aus als vor etwa zehn Jahren. Nicht nur die skandinavischen Länder geben deutlich mehr für Bildung aus. Das heißt, trotz höherer Bildungsbeteiligung gibt Deutschland – relativ gesehen – weniger aus als vor etwa zehn Jahren. Bezieht man die Ausgaben für Forschung und Entwicklung mit ein, dann wurden im Jahr 2017 insgesamt 9,0 Prozent des BIP für Bildung, Forschung und Entwicklung aufgewendet.
Zum Vergleich: Im Jahr 2008 waren es noch 8,6 Prozent bei höherem Anteil der Bildungsausgaben. Deutlich wird zudem, dass der Anteil der Bildungsausgaben seither gesunken und der Anteil der Forschungsausgaben gestiegen ist. Auf dieser Basis wird deutlich, dass das Zehn-Prozent-Ziel noch nicht erreicht ist.
Gleichzeitig muss man aber auch darauf hinweisen, dass die Ermittlung der Bildungsausgaben unvollständig ist und einige Teilbereiche unzureichend erfasst. So beinhalten zum Beispiel die privaten Weiterbildungsausgaben beim Statistischen Bundesamt nur die Teilnahmeentgelte an Volkshochschulen (derzeit 0,6 Milliarden Euro), während Cordes und Dohmen auf eine Größenordnung von 8,6 Milliarden Euro kommen. Würde man die Bildungsausgaben anders, vollständiger erfassen, dann dürfte das 10-Prozent-Ziel erreicht sein, allerdings wären dann auch die Ausgaben in früheren Jahren höher gewesen.
Beitrag für die Online-Veröffentlichung um die aktuellen Ergebnisse der Pisa-Studie 2018 aktualisiert. Eine ausführliche Fassung mit Abbildungen und Literaturangaben kann bei den Autoren angefordert werden.