Foto von Social media-Apps auf einem Smartphone-Bildschirm
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Forschende und soziale Medien
Twittern für die Wissenschaft?

Welche Rolle spielen soziale Medien im privaten und Forschungsalltag von Wissenschaftlern? Wie wichtig sind sie für deren Karriere? Eine Analyse.

Das Internet bietet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern neue, vielfältige Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten, sowohl im Hinblick auf die interne als auch auf die externe (Wissenschafts-)Kommunikation, deren Grenzen online zunehmend verschwimmen. Wissenschaftskommunikation wird online dynamischer und interaktiver – der gesamte wissenschaft­li­che Arbeitsprozess transparenter und offener.

Inzwischen gibt es einige empirische Studien, die die Nutzung(smotive) sozialer Medien durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empirisch untersuchen. Allerdings lassen sich diese aufgrund unterschiedlicher Stichproben, verschiedener methodischer Zugänge und Operationalisierungen kaum miteinander vergleichen.

Übergreifend zeichnet sich ab, dass von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor allem klassische soziale Netzwerke wie Facebook und/oder Twitter sowie auch spezifische auf akademische Zwecke spezialisierte Plattformen wie ResearchGate, Aca­de­mia.edu oder Mendeley genutzt werden. Insbesondere junge, vorwiegend männliche Wissenschaftler auf einer frühen Karrierestufe posten aktiv in den sozialen Netzwerken und versuchen auf diesem Weg auf neue Forschungsergebnisse aufmerksam zu machen oder über beziehungsweise direkt von Konferenzen zu berichten und sich mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auszutauschen. Dabei wird jedoch das Dialogpotenzial der sozialen Netzwerke selten ausgeschöpft – es überwiegt die unidi­rek­tionale Verwendung zur Verbreitung oder Rezeption bestimmter Informationen, etwa über neue Publikationen oder Aktivitäten von Kolleginnen und Kollegen (König, 2019).

Mehr Sichtbarkeit und Zitationen erreichen

Bisher weitgehend ungeklärt ist die Frage, ob und wenn ja wie die Aktivität auf sozialen Medien auf die Sichtbarkeit oder gar die Zitation von einzelnen Publikationen und damit auf die Reputation eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin wirkt. Über bestimmte Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten wie beispielsweise die Platzierung in Berufungsverfahren entscheiden nach wie vor traditionelle Publikationen in renommierten Fachzeitschriften oder auch die Einwerbung von prestigeträchtigen Drittmitteln. Trotz allem kann über eine erfolgreiche Werbung in den sozialen Medien natürlich die Aufmerksamkeit für die eigene wissenschaftliche Arbeit erhöht werden. Da gerade Twitter in Deutschland von vielen Multiplikatoren wie Journalisten und Politikern oder auch von anderen Wissenschaftlern genutzt wird, kann dies dazu führen, dass diese über die sozialen Netzwerke von neuen Forschungsarbeiten erfahren und dadurch die Autoren für Interviews angefragt oder ihre Ergebnisse von Kollegen aufgegriffen werden.

Die Bemessung von Reputation und "Impact"

Die Bemessung des "Impacts" in der Wissenschaft steht immer wieder zur Debatte. Einige Kritiker bemängeln, dass die Qualität der Forschungsleistungen darüber nicht adäquat abgebildet werden könnte. Gleichzeitig bildet sich eine neue Messgröße heraus: Die "Altmetrics" misst die Sichtbarkeit von Forschenden in den sozialen Netzwerken. Wie diese Entwicklung der Bewertung von wissenschaftlicher Exzellenz verändern könnte, haben die Professorin Simone Fühles-Ubach und Dr. Dirk Tunger von der TH Köln in der März-Ausgabe von Forschung & Lehre erklärt.

Erste Befunde deuten darauf hin, dass Studien, die über Twitter verbreitet werden, auch vermehrt von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Fachzeitschriftenartikeln zitiert werden, wobei die Wirkungsrichtung bisher nicht vollständig geklärt ist (siehe zum Beispiel Ladeiras-Lopes et al., 2020). Darüber hinaus kann der eigene Social-Media-Auftritt natürlich dazu genutzt werden, gezieltes "identity management" zu betreiben und ein bestimmtes Bild von sich selbst als Forschungspersönlichkeit zu kreieren. Dabei ist durchaus problematisch, dass die Sichtbarkeit einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers in den sozialen Medien nicht zwingend von der tatsächlichen fachlichen Expertise abhängt, sondern vielmehr durch die Art der Selbstdarstellung, durch Algorithmen, Suchmechaniken und bestimmte Social-Media-Metriken wie der Zahl der Likes, Re­tweets und Follower bestimmt wird.

Umgang mit Reaktionen in sozialen Medien

Für die externe Wissenschaftskommunikation bieten soziale Medien das Potenzial, mit Interessierten außerhalb der wissenschaftlichen Community in Kontakt zu treten und sich als Experte an öffentlichen Debatten zu beteiligen. Wenn man sich in diesen Dialog begibt, wird man als Forscher oder Forscherin natürlich für die (interessierte) Öffentlichkeit sichtbarer aber damit auch angreifbarer: Eine mit der Präsenz in sozialen Netzwerken einhergehende Herausforderung kann für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Umgang mit negativen Stimmen sein. Dies gilt vor allem für die Kommunikation über stark politisierte, polarisierende und ideologisierte Wissenschaftsfelder, die mitunter besonders emotionale Reaktionen bei manchen Nutzern sozialer Netzwerke hervorrufen. Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind nicht darauf vorbereitet, mit heftiger Kritik, beleidigenden Äußerungen oder im schlimmsten Fall sogar Anfeindungen und Drohungen konfrontiert zu werden. In Fällen tatsächlicher Hatespeech wird es ihnen durch die Anonymität zudem erschwert, strafrechtliche Schritte einzuleiten und sich selbst zu schützen. Die Wirkung negativer Kommentare oder in extremen Fällen sogar ganzer "Shitstorms" sollte in Hinblick auf ihr psychisches Wohlbefinden nicht unterschätzt werden (Schmid-Petri, 2021).

Für die junge Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gehört der Austausch über soziale Medien bereits selbstverständlich zum Alltag. Daraus ergibt sich die Prognose, dass soziale Medien in absehbarer Zeit eine noch deutlich größere Bedeutung im Wissenschaftsbetrieb erlangen werden. Wie diese Dynamik auf die bereits heute evidente Informationsüberlastung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen einwirkt, bleibt noch zu eruieren; zweifelsohne werden viele Nachrichten, die über soziale Medien verbreitet werden, ohne nennenswerte Reaktionen bleiben (müssen). Aber man sollte natürlich auch die Chancen wertschätzen, die mit dem raschen und aufwandsarmen Kontakt zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über Standortgrenzen hinweg einhergehen. Kooperation und das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Fachgemeinschaft werden gepflegt, und vielfach erhält man hilfreiche Antworten und Ratschläge auf "gepostete" Fragen.

Ob Forschende eigene "Kanäle" für den Austausch mit der Öffentlichkeit betreiben sollten, steht auf einem anderen Blatt: Die Wissenschaft ist gut beraten, ihre Stimmen zu bündeln, bevor sie Erkenntnisse nach außen trägt. Fachgesellschaften, Expertengremien und Universitäten kommen daher als Träger der Social-Media-Kommunikation eher in Betracht; sie können mit den (manchmal unerfreulichen) Reaktionen aus der Öffentlichkeit auch wirksamer umgehen als einzelne Forschende.

Zum Weiterlesen

  • König, M. (2019). Scholarly communication in social media. In A. Leßmöllmann, M. Dascal & T. Glonig (Hrsg.), Science Communication (pp. 639-656). Boston/Berlin: De Gruyter Mouton.
  • Ladeiras-Lopes, R., Clarke, S., Vidal-Perez, R., Alexander, M., & Lüscher, T. F. (2020). Twitter promotion predicts citation rates of cardiovascular articles: a preliminary analysis from the ESC Journals Randomized Study. European Heart Journal, 41(34), 3222-3225.
  • Schmid-Petri, H. (2021). Krisenkommunikation in der Wissenschaft –Die Reaktion auf Anschuldigungen und der Umgang mit Skandalen. Beiträge zur Hochschulforschung, 43 (1-2), 172-183.