Student sitzt am Schreibtisch
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Psychische Gesundheit
Wenn das digitale Studium zur Belastung wird

Die Corona-Pandemie ist für viele Studierende extrem belastend. An den Beratungsstellen der Hochschulen gibt es Unterstützung.

Von Katrin Schmermund 20.01.2021

F&L: Frau Kaiser, die Corona-Pandemie zieht sich nun schon knapp ein Jahr hin. Wie macht sich das in der Stimmung der Studierenden bemerkbar?

Ranja Kaiser: Seit dem Wintersemester und dem erneuten Lockdown beobachten wir eine Ermüdung unter den Studierenden der RUB. Die Anfragen in der psychologischen Beratung nehmen zu. Viele Studierende belastet, dass kein Ende der Pandemie in Aussicht ist und das Semester noch für einige Zeit digital laufen wird. Viele zweifeln an sich, weil ihnen der Austausch mit anderen fehlt: Mache ich es richtig? Bin ich die einzige Person, die einen Zusammenhang nicht versteht?

Gleichzeitig empfinden viele Studierende, die sich bei uns melden, den Workload höher als vor der Pandemie. Die Puffer während der Veranstaltungen fallen weg: der Plausch in der Cafeteria, der kurze Spaziergang zu einem anderen Gebäude, das gemeinsame Essen in der Mensa. Andere kommen mit der Situation gut zurecht – sie sehen wir kaum in unseren Beratungen. Teils empfinden sie die Zeit sogar als Entlastung, weil sie nicht mehr pendeln müssen oder zu Hause konzentrierter arbeiten können.

F&L: Wie erklären Sie sich den Unterschied?

Ranja Kaiser: Wie Studierende die Coronazeit empfinden, hängt natürlich zum einen von ihrer Persönlichkeit ab. Auch ihre Fähigkeit zum Selbstmanagement spielt eine Rolle: Wie gut können sie ihren Tag strukturieren, sich zum eigenverantwortlichen Arbeiten motivieren und sich ihre Aufgaben einteilen? Außerdem ist entscheidend, wie gut Studierende am Studienort verwurzelt sind, auf welches Netzwerk sie zurückgreifen können. Am schwersten ist die Zeit im Schnitt für diejenigen, die neu an einen Studienort gezogen sind: Sie können nicht auf bestehende Kontakte bauen und kaum neue Kontakte knüpfen. Häufig berichten sie uns, nach einiger Zeit zurück zu ihren Eltern gezogen zu sein, um zumindest etwas sozialen Anschluss zu haben.

Um sich in der Corona-Pandemie bei Laune zu halten, klingelt Ranja Kaiser immer wieder mal bei guten Freunden durch, schnappt sich ihren Wanderführer oder probiert ein neues Rezept aus. An der Ruhr-Universität Bochum (RUB) leitet sie die Psychologische Studienberatung. RUB, Kaiser

F&L: Wie stark belasten die Studierenden finanzielle Sorgen?

Ranja Kaiser: Der Jobverlust ist definitiv ein Problem, taucht bei uns aber eher als ein Aspekt neben anderen auf. Er sorgt für zusätzlichen Druck auf die Studierenden, der Gefühle wie Einsamkeit oder Selbstzweifel verstärkt. Oft haben die Studierenden in der Gastronomie oder in sozialen Einrichtungen gearbeitet. Kommen Studierende in Geldnot, ist die erste Anlaufstelle für die meisten das Studierendenwerk oder der "AStA", um sich über mögliche Finanzierungshilfen zu informieren.  

F&L: Rücken manche Probleme durch die Corona-Pandemie in den Hintergrund?

Ranja Kaiser: Psychische Belastungen werden insgesamt durch die Corona-Pandemie verstärkt. Was Studierenden aktuell teils weniger Probleme bereitet, sind Prüfungsängste – sonst ein Kernthema in unseren Beratungen. Ich erkläre mir das vor allem damit, dass Studierende während der Pandemie einen Fehlversuch pro Semester mehr haben und der Druck somit zumindest bei Prüfungen vorübergehend gesunken ist.

F&L: Wie läuft eine psychologische Beratung ab?

Ranja Kaiser: Studierende können entscheiden, ob sie telefonisch oder per Videocall mit uns sprechen wollen. Die meisten entscheiden sich für den Videocall. Vor der Pandemie haben wir die Gespräche hauptsächlich persönlich geführt. Viele Studierende haben mit Beginn der Kontakteinschränkungen zunächst ihre Termine verschoben und gehofft, bald wieder persönlich kommen zu können. Inzwischen hat sich die Beratung per Videocall aber gut eingespielt und unsere Erfahrung zeigt, dass sich die Studierenden erfreulicherweise auch virtuell uns gegenüber öffnen können.

Spreche ich zum ersten Mal mit einem Studenten oder einer Studentin, biete ich vorab an, Fragen zu mir zu beantworten und stelle mich in der ersten Sitzung vor. Mir ist wichtig, dass Studierende einen persönlichen Eindruck von mir bekommen. Ich wähle daher auch bewusst beim Videocall keinen virtuellen Hintergrund, sondern gebe den Studierenden einen kleinen Einblick in meine Wohnung. Hinter mir sehen sie in den Gesprächen einen Ausschnitt von meinem Wohnzimmer, ab und an läuft meine Katze "Marie" durchs Bild oder setzt sich auf meinen Notizblock (lacht). Ich will zeigen, dass auch ich im Homeoffice sitze und damit – wie wir alle – ab und an zu kämpfen habe.

F&L: Was fragen Sie die Studierenden?

Ranja Kaiser: Zunächst lade ich die Studierenden ein zu schildern, was sie bewegt. Ich frage sie nach ihrer Situation, ihrem aktuellen Umfeld und lasse mir eine Telefonnummer geben, sodass ich sie erreichen kann, wenn die Verbindung abbrechen sollte oder wenn ich das Gefühl habe, dass es ihnen sehr schlecht geht, um mich telefonisch melden zu können, falls Studierende in einer akuten Krise stecken. Habe ich das Gefühl, dass sie vorübergehend eine psychologische Unterstützung zur Stabilisierung gebrauchen könnten, biete ich den Studierenden für einen begrenzten Zeitraum einen regelmäßigen Gesprächstermin an. Vielen Studierenden nimmt dieses Angebot das Gefühl, alleine mit ihren Sorgen zu sein.

Stimmungstiefs in der Corona-Pandemie – das kann helfen:

  • Tägliche Routinen entwickeln, um Struktur in den Arbeitsalltag zu bringen
  • Kleine Lerneinheiten planen mit Pausen und kleinen Belohnungen zwischendurch
  • Sich mit Kommilitoninnen und Kommilitonen zu virtuellen Lern- und Austauschgruppen treffen – das erhöht die Selbstverantwortung
  • Täglich für einen sozialen Ausgleich sorgen, durch Verabredungen am Telefon, zum Zoom-Chat oder zum Spaziergang auf Abstand
  • Auf gesunde Ernährung achten, regelmäßigen Schlafrhythmus und sportliche Betätigung an der frischen Luft

F&L: Welche Erfahrungen aus der Beratung beschäftigen Sie besonders?

Ranja Kaiser: Ich mache mir viele Gedanken zur Situation von Auslandsstudierenden, die zunehmend vereinsamen und für die es sehr schwer ist, in Deutschland Fuß zu fassen. Sie sind oft völlig alleine, getrennt von Familie und Freunden im Heimatland. Auch beobachte ich mit Sorge, dass die Zahl an ernsthaften depressiven Verstimmungen unter Studierenden steigt. Die Versorgungslage in der ambulanten Psychotherapie war schon vor der Pandemie knapp. Derzeit finden viele kaum noch einen Therapieplatz. Mit unseren Beratungen können wir die Zeit bis zum Beginn einer Therapie zumindest überbrücken.

F&L: Wie sollten sich Dozentinnen und Dozenten verhalten?

Ranja Kaiser: Ich empfehle Dozierenden, sich nach Möglichkeit bestimmte Zeiträume für offene Sprechstunden mit Studierenden zu setzen. Sie sollten sich persönlich über einen Videochat oder telefonisch Zeit nehmen und Anliegen nicht über E-Mail klären. Vielen Studierenden hilft das direkte Angebot von Folgeterminen, falls sich das Anliegen nicht direkt klären lässt. Das schafft Verbindlichkeit in Zeiten erhöhter Anonymität durch fehlenden persönlichen Kontakt.

F&L: Was haben Sie aus dem zurückliegenden Jahr für Ihre Beratungen 2021 mitgenommen?

Ranja Kaiser: Wir wollen in diesem Jahr noch mehr Möglichkeiten zum Austausch und gezieltere Gruppenangebote schaffen, die eine stärkere Vernetzung der Studierenden mit psychischen Belastungen ermöglichen und den Studierenden helfen sollen, sich besser zu organisieren. Darüber hinaus wollen wir interessierte Studierende anleiten, ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen selbst unterstützen zu können. Von solchen Peer-to-Peer-Angeboten versprechen wir uns, dass ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl unter den Studierenden entsteht, sie sich gegenseitig motivieren und durch die Pandemie-Zeit tragen können. Gleichzeitig arbeiten wir daran, Workshops, die wir vor der Pandemie auf mehrere Termine aufgeteilt haben, in kompakteren Einzelterminen anzubieten. Viele Studierende haben uns zurückgemeldet, dass ihnen solche Impulse reichen. Andere können wir dann in 1:1-Gesprächen weiter unterstützen.

Psychische Belastungen – hier finden Studierende Unterstützung:

Die erste Anlaufstation bei psychischen Belastungen für Studierende ist die Psychologische Beratungsstelle der Hochschulen oder der Studierendenwerke. Auf der jeweiligen Hochschul-Website finden Studierende alle notwendigen Kontaktdaten.

Alle Informationen behandelt das Team der psychologischen Beratungsstelle streng vertraulich. Viele Hochschulen verwenden für ihre Beratungen spezielle Videocall-Anbieter mit einem besonders hohen Datenschutzstandard. Studierende erhalten vorab eine Datenschutzerklärung, in der die technischen Voraussetzungen und das Vorgehen bei der Videoberatung erläutert werden. Darüber versichern sich Studierende und Beratende auch, das Gespräch nicht aufzuzeichnen.

Haben die Mitarbeitenden der Beratungsstelle das Gefühl, dass hinter den Belastungsgefühlen der Studierenden mehr steckt als ein Stimmungstief verweisen sie Studierende an medizinische und psychotherapeutische Fachexperten und beraten zu möglichen Fragen und Unsicherheiten.