Digitale Lehre
Unis starten in zweites Corona-Semester
Die Corona-Pandemie hat den Hochschulen einen starken Digitalisierungsschub verpasst. Forschung und Lehre wurden im Frühjahr kurzfristig größtenteils in die virtuelle Welt verschoben, die Hörsäle, Seminarräume und Labore geräumt.
Die vergangenen Monate haben die Hochschulen genutzt, um sich für die digitale Lehre technisch und didaktisch neu aufzustellen und Konzepte für Prüfungen oder Laborforschung zu finden. Diesen Weg wollen die Hochschulen weiter gehen und haben zum Start des Wintersemesters vor allem die Studienanfängerinnen und Studienanfänger im Blick, die ohne bestehende soziale Kontakte in die virtuelle Hochschulwelt starten. Woran es in den einzelnen Bereichen noch hakt und worauf sie hoffen, berichten einige Hochschulangehörige.
Der Dozent
"Für die digitale Lehre habe ich mir ein kleines Fernsehstudio zu Hause eingerichtet. Zwei Strahler, einen Greenscreen und ein Schnittprogramm hatte ich bereits, allerdings keine Erfahrung mit digitalen Lehrformaten. Also habe ich die Studierenden befragt, welche Lehrformate sie sich wünschen und mich im Anschluss hingesetzt, gegoogelt und ausprobiert. Die meisten Studierenden waren für asynchrone Aufzeichnungen, weil sie teils systemrelevante Nebenjobs hatten oder es gut fanden, die Kursinhalte nochmals nachschauen zu können.
Wie sonst auch habe ich Powerpoint-Folien vorbereitet und diese dann eingesprochen und mich dabei gefilmt. Damit das Ganze etwas unterhaltsamer wird, habe ich nachträglich Anmerkungen oder Emojis eingefügt. Wenn mir während des Sprechens Fehler aufgefallen sind, bin ich darauf einfach scherzhaft eingegangen und habe es nicht nachträglich rausgeschnitten. Im Winter möchte ich noch mehr interaktive Elemente einbauen. Auch habe ich überlegt, digitale 'Mini-Stammtische' anzubieten, in denen Studierende nach dem Zufallsprinzip in Kleingruppen zusammengestellt werden und sich in Chats austauschen können. Das finde ich gerade für die neuen Studierenden wichtig."
Die Studentin
"Für Studierende war Corona eine gnadenlose Konfrontation mit Unsicherheiten. Das pandemiebedingte Onlinesemester war mein zweites Semester. Ich hatte meine Kommilitoninnen und Kommilitonen gerade erst kennengelernt, schon wurden wir aus den Hörsälen vor unsere Laptops katapultiert. Für die Hochschule war Corona aus meiner Sicht vor allem ein Katalysator für die Digitalisierung der Bildung. Die Lehrenden mussten schnell reagieren und ihre Lehrveranstaltungen umstellen, die Hochschul-IT lieferte die geeigneten Plattformen dazu. Die Lehre funktioniert Online größtenteils vergleichbar gut zur Präsenzlehre.
Für die Studierenden verschlechtert hat sich dabei, dass de facto kein Campusleben stattfindet. Die studentische Partizipation litt beispielsweise bei den aufwendig zu beantragenden Briefwahlen für die Hochschulwahlen, der lebendige Austausch zwischen Studierenden kommt zu kurz und auch die Arbeit der Studierendenvertretung ist durch Hygienekonzepte stark erschwert. Ich hoffe, dass wir alle aus dem ersten Onlinesemester viel lernen konnten und mit dem Zweiten souverän umgehen werden. Und die Optimistin in mir hofft auf die ein oder andere Präsenzveranstaltung."
Der Beauftragte für Blended Learning
"Dieses Wintersemester beschäftigt uns vor allem die Frage, wie wir das soziale Miteinander an der Hochschule aufrechterhalten können – insbesondere mit Blick auf die Erstsemester. Normalerweise laufen an den Hochschulen die 'Ersti-Wochen'. Studierende gehen aus, knüpfen neue Kontakte. Das fällt durch die Corona-Pandemie weg oder ist zumindest stark eingeschränkt. Einzelne Veranstaltungen würden wir gerne hybrid durchführen, sodass zumindest jeweils ein Teil der Studierenden vor Ort sein kann.
Technisch, methodisch und didaktisch fühlen wir uns gut für die digitale Lehre aufgestellt. Wir hatten schon vor der Pandemie viele Angebote ambitionierter Dozierender an der RWTH. Im vom BMBF geförderten Projekt 'MyScore' haben wir zudem ein Lehrformat entwickelt, über das sich Studierende und Dozierende mit Hilfe von VR-Brillen in beliebigen 3D-Settings zu Lehrveranstaltungen treffen können. Durch die Pandemie werden solche Angebote jetzt breiter genutzt. Viele Dozierende haben das Digitale für sich neu entdeckt und wollen solche Formate jetzt auch langfristig in ihre Veranstaltungen einbinden. Für Prüfungen haben wir eine eigene Entwicklung ('Dynexite') genutzt, die auch von anderen Universitäten verwendet werden kann. In den Prüfungsräumen haben wir zwischen den PCs blickdichte Plexiglaswände aufgestellt, so dass wir gruppenweise problemlos Prüfungen durchführen konnten. Das fanden sowohl die Studierenden als auch Dozierenden klasse."
Der IT-Leiter
"Die Universität und der Netzwerkverkehr an der Uni haben sich massiv verändert. Waren vor Corona digitalisierte Prozesse undenkbar, sind diese inzwischen etabliert. Das betrifft nicht nur die Lehre, sondern ebenso Forschung und Verwaltung. Natürlich kann ein Laborfeeling nicht so einfach an einen heimischen PC übertragen werden, aber Videokonferenzen in der Forschung, digitalisierte Lehre oder Prüfungen und die Prozesse in der Verwaltung wurden in Rekordzeit umgesetzt.
Fand der Netzwerkverkehr vor Corona hauptsächlich innerhalb der Netze der Universität statt, werden inzwischen die Schnittstellen zu den Providern massiv belastet. An der Goethe-Universität gab es vorher schon aufgezeichnete Lehrveranstaltungen, so dass die Technik grundsätzlich nicht neu war, allerdings hat sich die Zahl der Aufzeichnungen massiv erhöht. Im Sommersemester konnten die Dozentinnen und Dozenten Erfahrungen in der digitalisierten Lehre sammeln. Ich gehe davon aus, dass im Wintersemester die Technik weitgehend etabliert ist und didaktische Fragen wieder in den Vordergrund treten."
Die Rektorin
"Die Universität Augsburg hat im Sommersemester komplett auf digitale Lehre und Kommunikation umgestellt: Mit Videokonferenzen und einem eigenen digitalen Campus schufen wir innerhalb kürzester Zeit Bedingungen, die unseren Studierenden trotz Pandemie ein reguläres Semester ermöglichten. Wir wissen nun, dass wir kurzfristig rein digital lehren, forschen und diskutieren können. Auf diese Leistung unserer Universität, aller Lehrenden und Studierenden bin ich stolz.
Aber wir haben in dieser Zeit auch den Wert persönlicher, unmittelbarer Kommunikation schätzen gelernt. Daher setzen wir im kommenden 'Hybrid'-Semester auf Blended Learning: Die Lehre findet online statt, es gibt aber mehrere Präsenztermine. Vor allem für unsere Erstsemester gestalten wir Angebote, die innerhalb der geltenden Regelungen ein gutes Ankommen in 'ihrer' Universität ermöglichen. Damit nutzen wir die digitalen Vorteile, die uns die Pandemie gebracht hat, und bewahren den wichtigen unmittelbaren, persönlichen Austausch."
Die Nachwuchswissenschaftlerin
"Obwohl Lehrende mittlerweile etwas Routine in digitaler Didaktik haben, fühlt sich die 'neue Normalität' eher ungewiss an. Mit der steigenden Zahl der Neuinfektionen zum Herbstanfang, fragen sich die einen, wie das mit der teils geplanten Präsenzlehre funktionieren soll, die anderen, wie sie ihr (u.a. befristungsbedingtes) Pendelleben mit Infektionsschutz vereinbaren können und ob sie alternativ ihr Wohn-/WG-Zimmer/Küche als Arbeitskulisse noch länger ertragen.
Die Freude des Semesteranfangs wird diesmal getrübt von dem Gefühl, dass die Belange des Mittelbaus komplett vom Radar verschwunden zu sein scheinen. Erste Erfahrungen mit der gesetzlich eröffneten Option, die Höchstbefristungsdauer nach Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) um sechs Monate zu verlängern, zeigen hochschulübergreifend, dass diese als Gefälligkeitsoption statt als pandemiebedingter Anspruch ausgelegt wird. Mehrbelastungen durch Care-Arbeit können nicht geltend gemacht werden. Drittmittelbeschäftigte und Tenure-Track-Befristete sind von der Regelung ausgeschlossen. Eine Wertschätzung des Mittelbaus von Seiten der Hochschulen sieht anders aus.
Virtuelle Selbstorganisation bleibt notwendig und schwierig. Ob dies die hochschulinterne Diskussion zur Verteilung der Mittel des 'Zukunftsvertrags' oder das Sichtbarmachen der Mehrarbeit durch digitale/hybride Lehrformate betrifft – der Mittelbau kommt nur noch schwer zusammen. Etwas Hoffnung machen mir die aktuellen Projekte des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft: Mit einer 'Gegenevaluation' zum WissZeitVG und mit einem Arbeitspapier 'Personalmodelle für Universtäten in Deutschland – Alternativen zur prekären Beschäftigung' wird mittelfristig die Debatte zu Guter Arbeit grundlegend neu belebt werden."
Die Leiterin des International Offices
"Die Corona-Pandemie hat den internationalen Austausch völlig ausgebremst. Für das Wintersemester sind an den Fakultäten für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Betriebswirtschaftslehre circa die Hälfte der incoming students abgesprungen, weil sie nicht einreisen können oder sich dagegen entschieden haben zu kommen. Das Auslandserlebnis ist einfach ein anderes, wenn der Campus leergefegt ist, die Veranstaltungen digital laufen und viele kulturelle Angebote in der Stadt eingeschränkt werden. Fünf bis zehn Prozent der ausländischen Studierenden wollen das Semester an der Universität Hamburg von zu Hause verfolgen, der Rest kommt nach Deutschland. Bei den outgoing students sieht es ähnlich aus.
Im Sommersemester haben wir Online-Informationsangebote entwickelt und zum Beispiel in Videos erklärt, wie die Lage in Hamburg ist und was Studierende beachten müssen, um ihnen die Unsicherheit zu nehmen. Unsere Beratungsangebote haben wir auf Videokonferenzen verlegt und gerade überlegen wir, wie wir einen Teil des sozialen Begleitprogramms für Auslandsstudierende digital durchführen können. Wir planen zum Beispiel virtuelle Spielabende oder Museumsbesuche. Die jetzt wieder steigenden Zahlen an Corona-Infektionen verfolge ich mit Sorge und hoffe auf einen baldigen Impfstoff, damit der internationale Austausch wieder so lebendig sein kann wie vor der Pandemie."