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Wissenschaftssystem
Größere Vielfalt bei unbefristeten Anstellungs-verhältnissen gefragt

Wie denkt eine junge Professorin über die Situation an Hochschulen? Frauke Rostalski über Karrierechancen, Publikationsdruck und Lehre.

Von Katrin Schmermund 13.05.2019

Forschung & Lehre: Frau Professorin Rostalski, mit 34 Jahren sind Sie Lehrstuhlinhaberin an der Universität zu Köln. Viele Nachwuchswissenschaftler müssen sich in Ihrem Alter noch von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln – was war Ihr Erfolgsrezept auf dem Weg zur Professur?

Frauke Rostalski: Ich hatte in gewisser Weise Glück im Unglück. An dem Lehrstuhl, an dem ich mich von meinem Studium bis zur Habilitation habe ausbilden lassen, gab es nie sonderlich viele Stellen. Ich war daher immer darauf angewiesen, mich auf Stipendien zu bewerben. Während meiner ersten Promotionsphase bin ich über ein Stipendium der Hanns-Seidel-Stiftung gefördert worden, für meine Habilitation habe ich die "Eigene Stelle" der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeworben und über die VolkswagenStiftung und das Marie-Curie-Programm konnte ich für eine Weile im Ausland arbeiten. Die Stipendien waren natürlich zeitlich begrenzt, wodurch ich immer eine gewisse Drucksituation hatte. Mein Vorteil war aber, dass ich mich – anders als bei einer Anstellung über die Hochschule – immer voll auf meine Forschung konzentrieren konnte und mir mein akademischer Lehrer das auch ermöglicht hat. Das hat sicherlich einiges beschleunigt.

F&L: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfinden zunehmend den Druck, nicht nur gut, sondern auch viel zu publizieren. Wie sind Sie damit umgegangen?

Frauke Rostalski: In die Berufungsverfahren bin ich mit drei Büchern und etwas mehr als 20 Artikeln gegangen – die in der Regel älteren Mitbewerber hatten naturgemäß eine etwas längere Publikationsliste. Das hätte auch nach hinten losgehen können. Denn die bloße Länge der Publikationsliste kann einen starken Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg im Berufungsverfahren haben. Um zu verhindern, dass die Qualität der Publikationen zu stark in den Hintergrund rückt, halte ich es für sinnvoll – wie einige Universitäten es schon machen – die Anzahl der Publikationen, die zur Grundlage einer Entscheidung im Bewerbungsverfahren um eine Professur gemacht werden, zum Beispiel auf fünf zu begrenzen und die Gutachter zu verpflichten, diese dann auch zu lesen und zu bewerten.

Portraitfoto von Professorin Frauke Rostalski
Frauke Rostalski ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln. Sie engagiert sich in der Jungen Akademie. privat

F&L: Für die wissenschaftliche Karriere ist in vielen Fächern auch die Veröffentlichung in wissenschaftlichen Zeitschriften mit einem hohen Impact-Faktor ein Erfolgsgarant. In den Rechtswissenschaften scheint dieser keine große Rolle zu spielen. Warum?

Frauke Rostalski: Wir haben noch eine relativ traditionelle Publikationspraxis. Das heißt, dass die Auswahl der Zeitschriften begrenzt und es dabei bekannt ist, welche Zeitschriften ein strenges Herausgebersystem und damit ein hohes Renommee haben. Tauchen diese Zeitschriftentitel auf der eigenen Publikationsliste auf, spricht dies in der Regel für die Qualität der Veröffentlichung.

F&L: Begleitet werden Nachwuchswissenschaftler in ihrer Entwicklung von einer ständigen Jobunsicherheit. Das war bei Ihnen nicht anders. Riskiert Deutschland damit seine Attraktivität als Wissenschaftsstandort?

Frauke Rostalski: Die Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs sind in Deutschland tatsächlich nicht so gut wie sie sein könnten, um gute Leute in Deutschland zu halten. Auch ich bekomme in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen immer wieder mit, dass sich viele für eine Karriere im Ausland entscheiden. Zuletzt noch habe ich mit einer Naturwissenschaftlerin gesprochen, die im Bereich der Robotik forscht und bald nach Kanada geht, wo man ihr eine unbefristete, sehr gut dotierte Stelle und gute Forschungsbedingungen angeboten hat. Es ist schade, dass wir solche hervorragend qualifizierten Leute gehen lassen.

"In den USA gibt es zum Beispiel viel mehr unbefristete Stellen unterhalb der Professur."

F&L: Was schlagen Sie vor?

Frauke Rostalski: Ein Gewinn für das deutsche Wissenschaftssystem wäre meiner Auffassung nach eine größere Vielfalt in den Anstellungsverhältnissen. In den USA gibt es zum Beispiel viel mehr unbefristete Stellen unterhalb der Professur, "Assistenzprofessoren" oder reine "Lehrprofessuren". Zwar bin ich überzeugt davon, dass man Forschung und Lehre nicht komplett voneinander trennen sollte, und sehe es auch als meine Aufgabe, das, was ich herausfinde, weiterzugeben. Warum aber berücksichtigen wir in der universitären Personalstruktur nicht verstärkt zusätzlich auch diejenigen, die ihre Berufung vor allem in der Lehre sehen und weniger forschen wollen? In Deutschland reduziert man die Debatte zu stark auf das Thema "Tenure Track". Ich bin mir nicht sicher, ob damit die richtigen Knöpfe gedrückt werden.

F&L: Warum finden Sie das Tenure-Track-Verfahren problematisch?

Frauke Rostalski: Für die Vergabe einer Tenure-Track-Stelle muss man zu einem relativ frühen Zeitpunkt entscheiden, wer das Potenzial hat, Professorin oder Professor zu werden. Das ist aber eben nicht immer so einfach. Vielmehr gehört die Qualifikationsphase, zu der in den Rechtswissenschaften auch die Zeit der Habilitation zählt, meines Erachtens durchaus dazu. Zum anderen sehe ich folgendes Problem: Für Tenure-Track-Professuren aus dem Bund-Länder-Programm sind Hausberufungen grundsätzlich ausgeschlossen. Das gilt aber nicht für sämtliche anderen Tenure-Track-Professuren. Mit Hausberufungen geht aber zumindest eine Gefahr für die Exzellenzsicherung einher. Und auch wenn exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine solche Stelle innehaben, dürfte die vorgeschriebene Zwischenevaluation ihre Risikobereitschaft in der Forschung reduzieren.

F&L: Um auf jeden Fall positive Ergebnisse vorweisen zu können?

Frauke Rostalski: Nicht nur das. Es liegt nahe, tendenziell das zu machen, was die Kolleginnen und Kollegen gut finden dürften, die den Betreffenden bewerten. Damit bremsen wir aber unter Umständen gerade das aus, was wir eigentlich wollen: dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwas wagen, die Wissenschaft auf neue Ideen und Wege bringen. Es bringt der Wissenschaft nichts, wenn immer wieder das geschrieben wird, was andere so oder ähnlich schon geschrieben haben. Das finde ich unglaublich langweilig. Wir müssen sichere Stellen schaffen und die Leute machen lassen.

F&L: Was halten Sie von dem Vorschlag einer Departmentstruktur, wie sie Mitglieder der Jungen Akademie vorgeschlagen haben. Lehrstühle werden abgeschafft, haushaltsfinanzierte Mittelbaustellen abgeschafft und dafür weitere Professuren geschaffen?

Frauke Rostalski: Ich bin eher kritisch, was die Departmentstruktur betrifft. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen bin ich als Professorin in einem prüfungsstarken Fach mit vielen Studierenden auf die Unterstützung von meinem Team angewiesen. Zum anderen halte ich die Struktur eines Lehrstuhls für die Nachwuchsförderung und den akademischen Austausch für unverzichtbar. Es ist doch gerade das Schöne an einem Lehrstuhl, mit vielen Menschen unterschiedlicher Prägung und verschiedenen Alters über das Fach diskutieren zu können. Ich habe es für mich als enormen Vorteil erlebt, in so einen Fluss an Gedanken eingebunden zu sein. Das war Teil meiner Ausbildung. Bei einer Departmentstruktur würde das gefährdet bis abgeschnitten, weil jeder mehr oder weniger zu seinem Thema für sich arbeiten würde. Wenn das gegenwärtige Lehrstuhl-System seitens mancher Kritiker mit negativen Assoziationen behaftet ist, ist das meiner Meinung nach kein strukturelles, sondern ein personelles Problem. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Doktorand als Gesprächspartner genauso ernst genommen wird wie ein Kollege, der Professor ist.

F&L: Auch die Lehre gehört fest zu Ihrem Arbeitsalltag. Die Zahl der Studierenden hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Können Sie Ihren Ansprüchen als Lehrkraft damit noch gerecht werden?

Frauke Rostalski: Die Lehre ist meiner Meinung nach nicht das Problem. In den Grundlagenveranstaltungen stehe ich vor 400 bis 500 Studierenden. Auch in so großen Gruppen kann Lehre meiner Meinung nach gut funktionieren, wenn ich als Lehrkraft die Studierenden einbinde und diese Anforderungen auch klar kommuniziere. Meiner Erfahrung nach nehmen die Studierenden das in der Regel sehr gut auf und sind aufmerksamer, als wenn ich einen 1,5-stündigen Monolog halte. Dass sie in so großen Veranstaltungen mal merken, dass sie einer oder eine von vielen sind, finde ich gar nicht schlecht.

F&L: Wie meinen Sie das?

Frauke Rostalski: Wir dürfen nicht der Fehlvorstellung unterliegen, dass die Universität der verlängerte Arm der Schule ist. Daher kommt auch der Ruf nach Kleingruppen, weil man darin vermeintlich besser lernt. Ich sage: Die Universität muss Universität bleiben und das geht mit der Erfahrung einher, dass ich mich selbst organisieren muss und dafür verantwortlich bin, wie ich meine Studien betreibe. Das Abitur steht doch dafür, dass eine Absolventin oder ein Absolvent "reif" ist. Im Anschluss daran können wir unsere Studierenden darin unterstützen, sich selbstbestimmt zu bilden. Aber das schaffen wir sicherlich nicht, indem wir sie an die Hand nehmen und durch jede Tür gemeinsam gehen.

"Ich sehe es als meine Verantwortung, das Niveau der universitären Lehre zu halten und deren Exzellenz zu wahren." Frauke Rostalski

F&L: Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen argumentieren, dass es anders nicht mehr möglich sei, weil die Studierenden aus der Schule nicht mehr die notwendige Selbstständigkeit mitbringen. Sie vertreten den Standpunkt, sich davon nicht leiten zu lassen?

Frauke Rostalski: Meiner Erfahrung nach sind die Studierenden nicht so schlecht, wie es ihr Ruf von Zeit zu Zeit ist. Und unabhängig davon können es die Universitäten nicht ausbügeln, wenn die Voraussetzungen für ein universitäres Studium nicht vorliegen. Das zieht sich dann ja immer weiter. Vielmehr sehe ich es als meine Verantwortung, das Niveau der universitären Lehre zu halten und deren Exzellenz zu wahren.

F&L: Die "Exzellenz" ist auch an der Universität zu Köln ein großes Thema. Derzeit laufen die Bewertungen für die Bewerbung als Exzellenzuniversität. Was halten Sie von dem Wettbewerb?

Frauke Rostalski: Sehr viel. Ich halte die Exzellenzinitiative für einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Qualität des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Als ich nach Köln gekommen bin, war ich beeindruckt, wie viel Energie in die Wissenschaftsförderung und die begleitenden Themen wie etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fließt. Eine Gefahr, die in diesem Zusammenhang diskutiert wird, ist es, dass nicht-geförderte Universitäten ins Hintertreffen gelangen könnten. Allerdings steht hinter der Exzellenzinitiative gerade die Idee, untereinander zu kooperieren und Energien zu bündeln, sodass wir Experten-Zentren für bestimmte Fachgebiete schaffen. In diese können gerade auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingebunden werden, deren Universität selbst nicht den Exzellenzstatus hat. Insofern kann letztlich die gesamte Universitätslandschaft von der Exzellenzinitiative profitieren.

F&L: Kritisiert wird außerdem, dass über Geld von der Exzellenzinitiative vor allem Verwaltungsstellen geschaffen wurden und die Forschung dadurch vergleichsweise wenig profitiert.

Frauke Rostalski: Das stimmt, ist aber in meinen Augen zu kurz gedacht. Wenn Stellen zur Beratung bei der Antragstellung, zum Beispiel für die renommierten ERC-Grants, geschaffen werden, profitiere ich davon doch als Wissenschaftlerin. Das Gleiche gilt, wenn über Geld von der Exzellenzstrategie der Dual-Career-Service ausgebaut wird oder die hochschulinterne Kita finanziert wird. Gut fände ich es allerdings, wenn das Geld noch stärker dafür eingesetzt wird, flexibel auf aktuelle wissenschaftliche Anforderungen zu reagieren. Zum Beispiel gibt es in Deutschland kaum eine Möglichkeit – abgesehen von einem Forschungssemester – für einige Monate aus dem Hochschulalltag auszusteigen, um eine vielversprechende Forschungsidee mit voller Energie zu verfolgen. Hier wäre es beispielsweise im Sinne der Exzellenz für Forschung und Lehre zielführend, Mittel zur Verfügung zu haben, aus denen zeitweise eine Vertretung für die Lehre finanziert werden könnte.

F&L: Frau Professorin Rostalski, vielen Dank für dieses Gespräch.