Forschungsergebnisse
Wie sich das Alzheimer-Risiko reduzieren lässt
Mehr Fisch essen und Kreuzworträtsel lösen? So einfach ist es mit der Alzheimer-Vorbeugung leider nicht. Dennoch kann jeder und jede Einzelne ein Stück weit die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, an Alzheimer – einer Form der Demenz – zu erkranken oder zumindest deren Verlauf zu verlangsamen. Studien zeigen, dass Prävention möglich ist. Das ist vor allem deshalb eine gute Nachricht, weil eine Heilung nach wie vor nicht in Sicht ist.
"Wir wissen heute, dass Präventionsmaßnahmen unter Berücksichtigung von Risikofaktoren das Fortschreiten der Krankheit positiv beeinflussen und das individuelle Demenz-Risiko senken können“, sagt der Leiter des Kölner Alzheimer Präventionszentrums, Professor Frank Jessen. "Man geht davon aus, dass ein gesunder, aktiver Lebensstil bis zu 40 Prozent des Risikos ausmacht, ob man eine Demenz bekommt oder nicht.“
Eine internationale Forschergruppe ("The Lancet Commission on Dementia and Prevention") hat 2020 zwölf Risikofaktoren aufgelistet, die das Alzheimer-Risiko erhöhen. Im frühen Lebensalter zählt dazu schlechte Bildung. Im mittleren Alter gehen Hörverlust, Bluthochdruck, Schädel-Hirn-Verletzungen, schädlicher Alkoholkonsum und Übergewicht mit einer höheren Gefährdung einher. Im höheren Alter steigern demnach Rauchen, Depression, soziale Isolation, körperliche Inaktivität, Diabetes und Luftverschmutzung die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung.
Gesunder Lebensstil und soziale Aktivitäten haben positiven Effekt
Die Liste beruht auf epidemiologischen Daten. Als Gebrauchsanweisung für Einzelne tauge sie nur bedingt, sagt Präventionsforscher Professor Jochen René Thyrian vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Greifswald. Zum einen sind nicht alle Faktoren beeinflussbar – ein Unfall mit Kopfverletzung lässt sich nachträglich nicht korrigieren. Zum anderen ist nicht immer klar, wie der Zusammenhang zustande kommt: Sozialer Rückzug könne zum Beispiel ebenso eine Folge von Demenz sein wie zu ihrer Entstehung beitragen.
"Es gibt aber auch Faktoren, die sind klar und eindeutig belegt – und sie sind beeinflussbar“, sagt Thyrian. Dazu zählen vor allem gesunde Ernährung, Bewegung, kein Übergewicht und Nichtrauchen. Was sich sicher positiv auswirke, sei außerdem kognitive Stimulierung. Das könnten Kreuzworträtsel oder Sudokus sein, aber auch andere Formen der "kulturellen Interaktion“ von Lesen über Fernsehen bis zu Unterhaltungen.
Präventionsforscher Thyrian hält auch die soziale Aktivität einer Person für entscheidend, um das Risiko einer Erkrankung mit Alzheimer zu verhindern. Den Beleg dafür habe die Corona-Pandemie geliefert: Durch die strikten Corona-Regeln in Altenheimen habe sich die Demenz vieler Bewohner verschlechtert: „Das Fehlen sozialer Aktivitäten und emotionaler Kontakte hat zu einer gravierenden Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit und des gesundheitlichen Zustands geführt.“
Chronische Schlafstörung erhöht Demenz-Risiko
Der Kölner Experte Jessen hebt drei Faktoren hervor, die besonders wichtig seien – und erklärt den Zusammenhang. Das eine sei gutes Hören. "Das Gehirn braucht Input“, sagt der Psychiater. Wer schlecht hört, bekommt weniger Input und hat ein höheres Alzheimer-Risiko. Ebenso selbstverständlich, wie eine Brille zu kaufen, wenn man schlecht sieht, sollte ein Hörgerät sein.
Ein zweiter Punkt sei guter Schlaf. Eine chronische Schlafstörung erhöhe das Demenz-Risiko, so Jessen. Im Schlaf liefen im Gehirn Reinigungsprozesse ab. Dabei würden auch Amyloid-Plaques abgebaut, die an der Entstehung der Alzheimer-Demenz beteiligt seien.
Zu Kopfverletzungen erklärt Jessen, dass es nicht nur um schwere Verletzungen wie bei einem Autounfall gehe, sondern auch um häufige und leichte Verletzungen, wie sie bei manchen Sportarten vorkämen. „Profi-Fußballer, die viel Kopfbälle trainieren, aber auch Boxer haben ein erhöhtes Demenz-Risiko“, sagt Jessen.
Risikofaktoren meiden kann zwar vor Demenz schützen – dabei gehe es aber um statistische Wahrscheinlichkeiten, sagt Thyrian. Die konkreten Folgen für eine Einzelperson stünden auf einem anderen Blatt, "dafür ist der Mensch zu komplex“. "Es gibt kaum Studien, die dieses komplexe Geschehen so abbilden, dass man einen eindeutigen Nachweis bekommt.“
Außerdem wird das individuelle Erkrankungsrisiko von vielen Faktoren beeinflusst. Genetisch vererbt werden nur seltene Formen von Demenz, etwa die familiäre Alzheimer-Krankheit. "Bei anderen Demenzen ist die Genetik nur selten der alleinige Auslöser, obwohl es zu Häufungen in der engen Verwandtschaft kommen kann“, erläutert Thyrian. Ursache dafür sei aber nicht, dass Familienmitglieder eine ähnliche genetische Veranlagung hätten. Sie teilten vielmehr eine soziale Prägung, etwa ähnliche Lebensgewohnheiten.
Demenz: Präventionspotenzial von 38 Prozent
Epidemiologisch betrachtet ließen sich durch das Vermeiden der Risikofaktoren wohl tatsächlich viele Fälle von Alzheimer und anderen Demenzformen verhindern. Darauf deutet die sogenannte Finger-Studie aus Finnland hin, bei der eine Gruppe alter Menschen zwei Jahre lang Ernährungs- und Gesundheitsberatung sowie körperliches und geistiges Training bekam. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe sahen die Forscher "kleine, aber signifikante positive Effekte“.
Zehn Jahre nach der Finger-Studie will die Agewell-Studie die Ergebnisse in Deutschland prüfen. "Die Studie ist explizit so konzipiert, dass im Erfolgsfall Empfehlungen zu einer Implementation in die reguläre Versorgungslandschaft gegeben werden“, schreiben die Initiatoren um Steffi Riedel-Heller von der Universität Leipzig. 1.152 ältere Menschen mit erhöhtem Demenzrisiko wurden dafür in Leipzig, Greifswald, München und Kiel rekrutiert. Ergebnisse werden noch in diesem Jahr erwartet.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren in Deutschland 2021 rund 1,8 Millionen Menschen über 65 Jahren an Demenz erkrankt. Wie stark diese Zahl ansteigt, hängt auch davon ab, wie sich die Risikofaktoren in der Bevölkerung entwickeln. DZNE-Forscherin Dr. Iris Blotenberg und ihr Forschungsteam haben das berechnet. "Unsere Berechnungen ergeben ein Präventionspotenzial von 38 Prozent“, schrieben sie im "Deutschen Ärzteblatt International“. "Das heißt unter Annahme eines kausalen Zusammenhangs kann mehr als jeder dritte Demenzfall auf die betrachteten Risikofaktoren zurückgeführt werden.“
Gelänge es, die beeinflussbaren Risikofaktoren um 15 Prozent zu reduzieren, so die Modellrechnung, könnten von den erwarteten zwei Millionen Krankheitsfällen im Jahr 2033 theoretisch etwa 138.000 verzögert oder vermieden werden. Bei 30 Prozent wären es sogar 265.000 Fälle. „Diese Zahlen machen deutlich, dass sich stärkere Anstrengungen zur Demenzprävention lohnen können“, heißt es.
Während allgemeine Ratschläge wie "Lebe gesund!“ in früheren Lebensphasen oft verpuffen, versucht manch einer bei den ersten Demenz-Symptomen mit "Gehirn-Jogging“ und stundenlangem Sudoku-Lösen gegenzusteuern. Im Prinzip sei das richtig, findet Jessen.
Relevant werde Prophylaxe in der Phase, wenn erste Symptome aufträten: leichte Gedächtnisstörungen, erste Unsicherheiten mit der Orientierung, Schwierigkeiten bei komplexen Aufgaben – während die Selbstständigkeit noch nicht beeinträchtigt sei. "Wichtig ist kognitive Aktivierung insbesondere auch nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben“, sagt der Prophylaxe-Experte.
dpa/kas