Coronavirus
Hochschulen schalten auf "Notbetrieb"
Das Coronavirus "Sars-CoV-2" prägt das Weltgeschehen. Zuvor noch dominierende Themen wie der Brexit, die transatlantischen Beziehungen zu den USA oder der Klimwandel rücken in den Hintergrund. "Corona" ist das Schlagwort der Stunde – in Nachrichten genauso wie in Gesprächen mit Familie, Bekannten und Kollegen. Für Deutschland schätzt das Robert Koch-Institut die gesundheitliche Gefährdungslage inzwischen als "hoch" ein.
Um der rasanten Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken und persönlichen Kontakt zu vermeiden, haben sich die Hochschulen in Deutschland neu aufgestellt. Wurden anfangs nur die großen wissenschaftlichen Konferenzen abgesagt, sind inzwischen teils ganze Uni-Gelände wie leergefegt. "Wir haben innerhalb von zwei Tagen mehr oder weniger die gesamte Hochschule geräumt", sagt zum Beispiel Hubert Hundt, Sprecher der Ruhr-Universität Bochum. Auf dem Campus sei nur noch ein Kernteam an Beschäftigten. "Sie kümmern sich um die Technik an der Hochschule oder die Sicherstellung von Versuchsabläufen. Allen anderen haben wir angeraten, ins Homeoffice zu gehen." Für diejenigen, die noch auf dem Campus sind, gelten besondere Hygienevorschriften.
"Wir hatten das Gefühl, den Entwicklungen immer hinterherzulaufen und haben daraufhin einen klaren Cut gemacht." Hubert Hundt, Ruhr-Universität Bochum
In den Wochen zuvor habe die Hochschule zunächst versucht, einzelne Abläufe umzugestalten. "Wir hatten jedoch das Gefühl, den Entwicklungen immer hinterherzulaufen und haben daraufhin einen klaren Cut gemacht und – wenn man so will – den Reset-Knopf gedrückt. Alles einmal herunterfahren und dann neu angehen. Unsere Devise lautete fortan 'Geschwindigkeit statt Perfektion'." Dabei hätten sich teils skurrile Szenen abgespielt. "Es waren natürlich nicht alle Beschäftigten für die Arbeit im Home-Office ausgestattet. Also liefen immer wieder Personen zum Beispiel mit Monitor und Drucker unter dem Arm über das Gelände", berichtet Hundt. Das hätten die meisten bereitwillig gemacht. "Ich habe das Gefühl, dass sich eine Art Teamspirit über alle Fakultäten hinweg ausgebreitet hat. Alle wollen die Situation so gut es geht in den Griff bekommen."
Einige Hochschulen mussten zeitweise auch komplett schließen, weil sich Angehörige mit dem Coronavirus infiziert hatten, darunter die Bergische Universität Wuppertal, die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg und der Campus der privaten Wirtschaftshochschule Otto Beisheim School of Management (WHU) in Vallendar.
HRK: Wissenschaft sollte vorangehen
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sieht die Wissenschaft in einer besonderen Verantwortung: "Wir müssen diszipliniert alle Schutzmaßnahmen respektieren, um eine nicht mehr beherrschbare Eskalation der Infektion zu vermeiden", sagte zuletzt HRK-Vizepräsident Ulrich Radtke. "Wer, wenn nicht Hochschulbeschäftigte und Studierende können verstehen, was ansonsten beispielsweise auf die Universitätsklinika zukäme." Es gelte, flexibel auf diese "absolute Ausnahmesituation" zu reagieren. "Treffen können oft durch Video- und Audiokonferenzen ersetzt, den Studierenden Studienzeiten nicht angerechnet, Forschungsaufenthalte verschoben werden." In der Lehre müssten kurzfristig "innovative, digitale und rechtssichere" Prüfungsformate genutzt, entwickelt oder weiterentwickelt werden, um die Lehre an Hochschulen so gut es gehe aufrechtzuerhalten.
Das anstehende Sommersemester haben alle Hochschulen bis mindestens Mitte April verschoben. In einem offenen Brief sprachen sich nach aktuellem Stand mehr als tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür aus, das Semester sogar ganz ausfallen zu lassen und zum "Nicht-Semester" zu deklarieren. Die technische Infrastruktur würde die dafür notwendigen Abläufe nicht erlauben, viele Beschäftigte seien im Umgang mit digitaler Software nicht geschult und müssten durch die Situation an den Hochschulen zusätzliche Aufgaben übernehmen.
Andere, wie auch HRK und DAAD, distanzieren sich von dem Vorschlag eines "Nicht-Semesters": "Im Sinne der Studierenden, Lehrenden und Forschenden darf dies kein verschenktes Semester sein", sagte etwa HRK-Vize Radtke. "Für Studierende muss diese Zeit als Studienzeit gelten, wenn sie dies wollen. Und für Lehrende und Forschende dürfen in ihrer Biografie keine Lücken bei Lehrerfahrung oder Forschungsleistung entstehen."
Der Hamburger Uni-Präsident Dieter Lenzen hatte per Videobotschaft als einer der ersten Hochschulleiter Beschäftigte und Studierende informiert, was das Coronavirus für die Hochschule bedeute. Inzwischen seien 80 Prozent der Administration und verwandter Bereiche auf digitale Kommunikation umgestellt – "sehr erfolgreich", schreibt Lenzen einige Wochen später. Dennoch mache es sich bemerkbar, "wenn man zehn, zwölf Stunden täglich kommuniziert, ohne sein Gegenüber zu sehen. Das wird nicht lange gut gehen, aber alle sind guten Willens."
Die seiner Ansicht nach größte Herausforderung: "Die Führungskräfte müssen Verantwortung zeigen für die ihnen Anempfohlenen, die Wissenschaftler für die Studierenden und die Hochschulleitung für alle." Die Universitäten würden nach der "Krise" nicht wiederzuerkennen sein: "Die Mittel werden schrumpfen, das Digitale zur Normalität", sagt der Hochschulleiter.
Mit Kindern im Home-Office
Frauke Rostalski arbeitet seit einigen Tagen mit Unterstützung von zwei Babysitterinnen an ihren bevorstehenden Online-Kursen. "Mein zweieinhalbjähriger Sohn geht normalerweise in die Kita der Universität, die aktuell natürlich geschlossen ist", erklärt die Kölner Professorin. "Mein Mann arbeitet ebenfalls Vollzeit, also haben wir zwei Babysitter im Wechsel, was ganz schön ins Geld geht." Die Juristin hofft darauf, dass die Hochschule im Nachhinein einen Teil der Kosten übernehmen wird. "Gerade für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit schlechteren Verträgen als meinem kann die Betreuung jüngerer Kinder zu einer starken finanziellen Belastung werden."
Ihr Team habe Rostalski Mitte März ins Home-Office geschickt, Personen mit einem erhöhten Risiko, an dem Coronavirus zu erkranken, schon früher. Die digitale Lehre sei für die junge Professorin Neuland: "Zwar sind in der Vergangenheit einzelne Vorlesungen von mir aufgezeichnet worden, einen Online-Kurs konzipiert habe ich vorher aber noch nie." An dem Semesterstart Mitte April will die Universität festhalten. Für die digitale Lehre hat sie eine neue Plattform eingerichtet.
"Live-Formate in Echtzeit sind besonders datenintensiv." Ulrich Marsch, TU München
Die Technische Universität München (TUM) steht laut eigenen Angaben in Verhandlungen mit verschiedenen Software-Anbietern, um die Kapazitäten für den digitalen Datenverkehr auszubauen. Für Live-Streams für mehrere hundert Studierende seien unter anderem "Adobe Connect", "Microsoft Team" und "Zoom" im Gespräch. Für kleine Gruppen verwendet die Hochschule "Meet". "Live-Formate in Echtzeit sind besonders datenintensiv", sagt Hochschulsprecher Dr. Ulrich Marsch. "Wir werden daher einen Teil der Veranstaltungen wie derzeit auch über Blended Learning anbieten, wobei Studierende die Inhalte innerhalb eines bestimmten Zeitraums erarbeiten können."
Dozierende informiert die TUM online, wie sie ihre Lehre digital vorbereiten können und bietet Weiterbildungen an. Auch das "Hochschulforum Digitalisierung" sammelt Tipps zu digitalen Lernformaten. Die Mitarbeitenden der Rechenzentren erweitern die internen Serverkapazitäten der Universitäten, und beraten, wie Hochschulen schnell datenschutzkonforme Lösungen schaffen.
Nachwuchs unter Druck
In der Forschung versuchen die Fakultäten, die wichtigsten Prozesse im Notbetrieb weiter durchzuführen. Dennoch kann es jahrelange Arbeit gefährden, wenn Forschende einen Auslandsaufenthalt abbrechen müssen, Materialien für Experimente nicht erhalten oder Labore nicht betreten können.
Unter besonderem Druck stehen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Während einzelne die Zwangspause vom Hochschulalltag nutzen können, um in Ruhe zu schreiben und ihre Arbeit fertigzustellen, tickt vor dem inneren Auge vieler die Uhr bis zum Ende ihres befristeten Vertrags. Auch interessante Kontakte für die weitere Karriere können derzeit schlechter geknüpft werden.
"Ende des Jahres läuft mein Vertrag aus, gerade wäre die letzte Möglichkeit gewesen, noch einmal im Ausland zu sein." Ann-Kathrin Reinl, GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Köln
"Ich hätte ab März eigentlich für drei Monate am European University Institute (EUI) in Florenz sein sollen", sagt etwa die Kölner Promovendin Ann-Kathrin Reinl. "Nach zwei Tagen war es damit vorbei." Vor Ort habe sie renommierte Forscherinnen und Forscher aus ihrem Fachgebiet treffen und mit ihnen über die bisherigen Ergebnisse ihrer Doktorarbeit sprechen wollen. "Publikationen und das eigene Netzwerk entscheiden nun mal maßgeblich mit über die wissenschaftliche Karriere", sagt die Politikwissenschaftlerin. Die ausgemachten Treffen für Italien könne sie nicht so leicht nachholen. "Ende des Jahres läuft mein Vertrag aus, gerade wäre die letzte Möglichkeit gewesen, noch einmal im Ausland zu sein." Ihre Dissertation hänge davon jedoch zum Glück nicht ab. Sie versuche ihre Kontakte jetzt vorerst per E-Mail zu pflegen und hofft, im Rahmen einer Anschlussfinanzierung nochmals ins Ausland gehen zu können.
Coronavirus: Förderer verlängern Fristen
Förderer aus der Wissenschaft zeigen sich in Zeiten des Coronavirus Sars-CoV-2 kulant:
- Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) will für die von ihr geförderten Personen und Projekte die Vertragslaufzeiten und Fristen verlängern.
- Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) plant mit seinen Mitgliedshochschulen "flexible Lösungen" für bewilligte Projekte finden. Geplante Vorhaben sollten verschoben oder digital durchgeführt werden. Auch Stipendiatinnen und Stipendiaten von Auslandsaufenthalten sollen keine Nachteile durch das Coronavirus haben.
- Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sagte zu, dass Bafög auch bei Einschränkungen durch "Sars-CoV-2" weiterhin gezahlt würde.
- Die Europäische Kommission hat die Frist zur Einreichung neuer Anträge unter dem Förderprogramm "Horizont 2020" mit einer Deadline innerhalb der kommenden Tage verlängert. Können Projekte nicht rechtzeitig fertiggestellt werden, entscheide die EU-Behörde von Fall zu Fall. Spielraum dafür biete eine Vertragsklausel zur "höheren Gewalt". Davon sollen auch Geförderte über das Erasmus+-Programm profitieren.
Aktuelle Informationen zur Förschungsförderung: