Professor Joybrato Mukherjee
JLU/Jonas Ratermann

DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee
"Der Brexit ist kein britisches Problem"

Joybrato Mukherjee ist seit einem Jahr Präsident des DAAD. Ein Gespräch über Corona, den Brexit und die Kooperation mit Ländern wie den USA und China.

Von Katrin Schmermund 14.01.2021

Forschung & Lehre: Herr Professor Mukherjee, es sind turbulente Zeiten für den wissenschaftlichen Austausch: die Corona-Pandemie, der endgültige Brexit...Wie gehen Sie das neue Jahr an?

Joybrato Mukherjee: 2020 hat gezeigt, dass es oft anders kommt, als erwartet. Die Reisebeschränkungen während der Corona-Pandemie haben den Kern unserer Arbeit getroffen. Wir haben Geförderte beraten, aus ihren Gastländern zurückgeholt und parallel so gut es geht, digitale Lösungen für den Austausch vorangetrieben. Daran wollen wir 2021 anknüpfen. Die Bewerberzahlen für Stipendien zeigen, dass das Interesse an einem Auslandssemester trotz Pandemie besteht.

F&L: Was bleibt von meinem Auslandssemester in Australien, wenn ich in Deutschland sitze und in das nasskalte Wetter vor meinem Fenster blicke?

Joybrato Mukherjee: Ein kultureller Austausch ist ein Erleben mit allen Sinnen. Das kann ein digitaler Austausch nicht ersetzen – auch wenn sich Hochschulen und Studierende während der Corona-Pandemie zum Beispiel mit virtuellen Kochtreffs kreative Lösungen ausgedacht haben. Für die Zeit nach Corona will der DAAD daher die Stärken aus beidem ziehen: physischer Mobilität und digitalem Austausch. Vor und nach einem Aufenthalt in einem Land sollen sich Geförderte digital vernetzen können. Das wollen wir unter anderem über die Programme 'International Programme Digital' (IP Digital) und "International Virtual Academic Collaboration" (IVAC) fördern.

Digital ins Auslandssemester

Rund zehn Prozent der über den DAAD geförderten Studierenden haben ihr Auslandssemester zum Zeitpunkt einer Umfrage der Förderorganisation abgebrochen, weitere zehn Prozent dieses virtuell aus ihrem Heimatland gestartet und ein Viertel hat es verschoben. Rund 45 Prozent sind ins Gastland ausgereist und studieren dort vor Ort größtenteils digital. Zu den restlichen zehn Prozent hat der DAAD keine Angaben.

F&L: Auf manche Reise wollen Sie nach Corona wegen des Klimawandels verzichten. Welche sind das?

Joybrato Mukherjee: Das betrifft zum Beispiel die Zusammenarbeit von internationalen Forschungsgruppen. Als große Förderorganisation stehen wir in der Verantwortung, Anreize für digitale Austauschformate zu schaffen und dort, wo Reisen gefragt sind, nach Möglichkeit die Bahn anstatt des Flugzeugs zu nehmen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Absprachen in eingespielten Teams sehr gut digital funktionieren, wohingegen Treffen von neuen Teams vor Ort stattfinden sollten, um Vertrauen im Team aufzubauen und Aufgaben aufzuteilen. Wir arbeiten an einem Kriterien-Raster, in welchen Fällen eine physische Mobilität unser Ansicht nach notwendig ist und in welchen nicht. Ein Vorteil des Digitalen: Wir können auch diejenigen erreichen, die nicht ins Ausland gehen können, weil sie Kinder haben oder Angehörige pflegen müssen.

F&L: Für den Austausch mit einem der wichtigsten Partnerländer Deutschlands gelten künftig neue Regeln. Der Brexit ist endgültig vollzogen und das bedeutet strengere Einreisevorschriften und einen Ausstieg Großbritanniens aus dem Mobilitätsprogramm "Erasmus+" ab April 2023. Wie wollen Sie darauf reagieren?

Joybrato Mukherjee: Es schmerzt, dass Großbritannien nicht mehr Teil von "Erasmus+" sein wird. Das Programm steht für die intellektuelle Klammer der jungen Generation in Europa. Für Studierende aus Deutschland war Großbritannien bisher bei "Erasmus" das beliebteste Austauschland nach Spanien. Wir unterstützen daher Hochschulen in Deutschland, bilaterale Partnerschaften mit ihren Partneruniversitäten in Großbritannien zu knüpfen, und setzen uns für ein neues Austauschprogramm mit Großbritannien ein, in dem auch die internationalen Studiengebühren neu geregelt werden. Bei den neuen Einreisebestimmungen erwarten wir keine größeren Probleme. Zwar braucht es ab einem Studienaufenthalt von mehr als sechs Monaten ein Visum, das kann aber digital beantragt werden.

"Die Ablösung der Trump-Administration verschafft uns deutlich bessere Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit."

F&L: Ist der Ausgang der Brexit-Verhandlungen für Sie Anlass, sich beim DAAD künftig stärker politisch einzubringen?

Joybrato Mukherjee: Forschung und Lehre standen nicht im Fokus der EU-Verhandlungen. Das dürfen wir nicht vergessen. Dennoch wollen wir künftig noch deutlicher machen, wie wichtig die Zusammenarbeit in Bildung und Wissenschaft für die Integration innerhalb Europas ist. Gerade in der Corona-Pandemie haben wir gemerkt, wie sehr wir auf die internationale Zusammenarbeit angewiesen sind. Wir dürfen nicht so tun, als ob der Brexit ein britisches Problem ist. Britische Hochschulen sind international extrem attraktiv.

F&L: Was bedeutet das konkret für Ihre Arbeit?

Joybrato Mukherjee: Wir wollen noch stärker auf die Erfolge einzelner Programme wie "Erasmus+" verweisen und zeigen, dass wir gegenüber anderen Wissenschaftsnationen wie China oder den USA als Europa nur gemeinsam bestehen können. Dafür müssen wir die neuen europäischen Hochschulnetzwerke voranbringen und echte europäische Campusstrukturen schaffen, auf denen die internationale Zusammenarbeit gelebt wird. Für deutsche Hochschulen ist diese Initiative der Europäischen Union eine echte Chance. Von 41 Kooperationsprojekten sind deutsche Hochschulen an 32 beteiligt.

F&L: Wie wird Joe Biden, der neue Mann im Weißen Haus, die Zusammenarbeit mit Wissenschaftsvertretern in den USA verändern?

Joybrato Mukherjee: Die Ablösung der Trump-Administration verschafft uns deutlich bessere Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit. Die Präsidentschaft Joe Bidens wird das politische Klima verändern: weniger Abschottung und mehr Weltoffenheit. Entscheidungen wie die Trumps, Studierende aus dem Land zu verweisen, wenn sie nur online an Kursen teilnehmen, wird es mit Biden nicht mehr geben. Wir erwarten außerdem, dass er sich dafür einsetzt, die Studiengebühren in den USA zu senken.

F&L: China, ein Land das immer mehr Bedeutung in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit gewinnt, steht in der Kritik, die Wissenschaftsfreiheit drastisch zu verletzen. Was mit Forschungsergebnissen passiert, scheint oft unklar, auch deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden kontrolliert. Unterschätzen Sie die Gefahr?

Joybrato Mukherjee: Wir wollen mit jedem Land den Austausch so lange fortsetzen, wie irgend vertretbar. Das gilt auch und gerade für China. Dafür müssen wir unsere Chinakompetenz schleunigst verbessern. Die Kritik an den Konfuzius-Instituten ist berechtigt, weil diese oftmals aus China gesteuert werden. Trotzdem geht sie am Grundproblem vorbei: Wir haben es bisher versäumt, die Chinakompetenz an unseren Hochschulen mit eigenen Mitteln und mit eigenen Programmen im großen Maßstab zu stärken. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Amerikahäuser und Studiengänge der Amerikanistik begründet, um sich dem Land kulturell und wissenschaftlich zu nähern. Das brauchen wir auch für China. Gemessen an der Größe Chinas ist es unverhältnismäßig, dass jedes Jahr nur 8.000 deutsche Studierende nach China gehen, aber knapp 29.000 nach Österreich.

"Wir haben es bisher versäumt, die Chinakompetenz an unseren Hochschulen mit eigenen Mitteln und mit eigenen Programmen im großen Maßstab zu stärken."

F&L: Reicht das, um gegenüber China für Werte wie freie Meinungsäußerung einzustehen?

Joybrato Mukherjee: Wenn die Wissenschaftsfreiheit beschnitten wird, müssen wir uns entschieden positionieren. Das ist für mich etwa der Fall, wenn Dozierende während ihrer Vorlesungen vollständig überwacht werden. Deutsche Hochschulen müssen dafür sensibilisiert sein, dass so etwas problematisch und ein Einschnitt in die Lehrfreiheit ist, und sich dem, soweit es ihnen als Wissenschaftseinrichtung möglich ist, entgegenstellen. Der DAAD berät dazu über das 'Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperation'. Aber eines ist klar –  wie immer bei internationalen Kooperationen: Man kann nur gut zusammenarbeiten, wenn ein gemeinsames Grundverständnis von den Regeln der Zusammenarbeit besteht. Das müssen wir auch von China einfordern.

F&L: Welche Regionen stehen für Sie 2021 noch im Fokus?

Joybrato Mukherjee: Afrika wird mit Blick auf viele Themen wie beispielweise Gesundheit und Klimaschutz ein Schwerpunkt in den 2020er Jahren. Über die von uns ausgeschriebenen "Globalen Zentren" können deutsche Hochschulen noch enger mit afrikanischen Partnerorganisationen zusammenarbeiten. Die Zentren sollen vor Ort in Afrika errichtet werden.

F&L: Worauf wollen Sie Ende 2021 zurückblicken, Herr Mukherjee?

Joybrato Mukherjee: Wie ich eingangs sagte, kommt vieles oft anders als gedacht. 2021 wird ein gutes Jahr gewesen sein, wenn die Realität besser wird, als wir es derzeit befürchten.