Demonstranten bei einem "March for Science"
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Standpunkt
Ohne Druck geht es nicht

Forschung wirkt unweigerlich in Politik und Gesellschaft hinein. Daher müssen sich Wissenschaftler beharrlich in politische Diskurse einmischen.

Über die Rolle von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in politischen Entscheidungsprozessen wird in jüngster Zeit vermehrt debattiert. Wie stark dürfen und sollen sie sich einbringen? Sollten sie konkrete Reformvorschläge liefern? Müssen sie sich als Forschende gegen politische Reformstaus zusammenschließen und engagieren?

Konsens sollte darüber bestehen, dass Wissenschaft kommunizieren muss, indem sie in einen Dialog mit Gesellschaft und Politik über ihre Arbeit tritt. Die Gesellschaft, die die Arbeit von Forschenden im Wesentlichen finanziert, hat ein Recht darauf, über Methoden, Ergebnisse und deren Bedeutung informiert zu werden. Viele Disziplinen erarbeiten darüber hinaus Wissen, das die Lebenswirklichkeit der Menschen unmittelbar betrifft. Als Beispiel seien die Sozialwissenschaften genannt. Wer zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zur Gleichberechtigung oder über den Wandel unserer Demokratien forscht, wirkt unweigerlich in Gesellschaft und Politik hinein.

Daraus erwächst eine besondere Verantwortung: Stehen für gesellschaftliche Probleme wichtige Ergebnisse im Raum, muss die Wissenschaft diese im öffentlichen Diskurs einordnen. Die Bedeutung dieses Dialogs herausgestellt haben Bundesforschungsministerin Anja Karliczek in ihrem Posi­tions­papier zur Wissenschaftskommunikation und der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zur Wissenschaftsfreiheit im September des vergangenen Jahres.

Der Schritt zu konkreten Reformvorschlägen bedeutet für viele Forschende eine rote Linie. Doch steht der Vorschlag auf festem fachlichen Grund, spricht nichts dagegen. So haben Forschende am WZB nachgewiesen, dass Kinder aus sozial schwachen Haushalten bei der Zulassung an Privatschulen systematisch benachteiligt werden, und beharrlich mit konkreten Vorschlägen dazu beigetragen, dass in Berlin die entsprechenden gesetzlichen Regelungen nun geändert werden.

Allerdings reichen fundierte Vorschläge und Beharrlichkeit oft nicht aus, wie der Reformstau in einigen Bereichen unseres Landes zeigt: Frauen sind am Arbeitsmarkt seit Jahrzehnten benachteiligt, Bildungschancen zwischen Kindern aus armen und reichen Familien ungleich verteilt. Die Befunde zum Klimawandel sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Der Klimawandel ist menschengemacht und die – durch ein internationales Abkommen politisch akzeptierte – Lösung heißt weniger CO2. Wenn sich nun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Fachgrenzen hinweg zusammenschließen und ihre Stimme zusammen mit anderen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren gegen die fehlende politische Umsetzung erheben, geben sie damit nicht ihre Integrität preis. Denn dieser Schulterschluss scheint das einzig verbliebene Mittel zu sein, um überfällige wissenschaftlich fundierte Reformen anzustoßen.