Fahnenmeer aus US-Flaggen vor dem Kapitol in Washington
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USA
Startschuss für Team Biden

Mit der Amtseinführung beginnt die Arbeit des Biden-Kabinetts. Was ist drin für Wissenschaft und Bildung?

Von Claudia Krapp 20.01.2021

Am Mittwoch beginnt offiziell die Amtszeit des im November gewählten 46. US-Präsidenten Joe Biden. Mit dem Machtwechsel im Weißen Haus gehen hohe Erwartungen an einen Wechsel in Bildung und Wissenschaft einher. Während der bisherige Präsident Donald Trump eher mit Beschlüssen und Vorschlägen von sich reden machte, die der lokalen und internationalen Forschung schadeten, rechnen viele Wissenschaftsvertreter im In- und Ausland mit einer Besserung der bildungspolitischen Lage unter Biden.

Wie schnell sich die Effekte zeigen werden, ist jedoch unklar. Der DAAD-Präsident, Professor Joybrato Mukherjee, sieht eine schwere Hypothek für Biden. "Sein Fokus wird zwangsläufig auf der innenpolitischen Krise und der Corona-Krise liegen". Als "president for science" werde er daher zunächst kaum auftreten können. "Biden muss erst die abgeschlossenen Blasen der Menschen durchbrechen und sie zurück in eine gemeinsame Realität holen", sagte Mukherjee gegenüber Forschung & Lehre. Der Wunsch nach evidenzbasierter Politik sei im von "Fake News" geprägten Land aber groß, Bidens angekündigte Pläne vielversprechend. "Allein durch evidenzbasierte Politik werden die politischen Auseinandersetzung nicht aufhören", sagt Jeff Rathke, Präsident des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) in Washington. "Der Sturm auf das Kapitol ist nur die Spitze von vielen Präzedenzfällen der letzten vier Jahren, bei denen Trump das Land gespalten hat." Biden werde vorwiegend damit beschäftigt sein, die aufgeheizte innenpolitische Lage in den Griff zu bekommen. "Wir sollten daher Enttäuschungen angesichts überhöhter Erwartungen an Bidens Wissenschaftspolitik vermeiden."

"Wir sollten Enttäuschungen angesichts überhöhter Erwartungen an Bidens Wissenschaftspolitik vermeiden." Jeff Rathke (AICGS)

In den USA beginnt der Wandel mit neuem Personal: Trumps Bildungsministerin Betsy DeVos war überraschend knapp zwei Wochen vor der Amtsübergabe wegen des Angriffs seiner Anhänger auf das Kapitol in Washington zurückgetreten. DeVos hat sich Medienberichten zufolge während ihrer Amtszeit kaum mit den Hochschulen beschäftigt. In ihrem Amt folgen soll nun der ehemalige Lehrer und Bildungsbeauftragte von Connecticut Miguel Cardona. Biden kündigte an, Cardona wolle als Bildungsminister für ein "besseres, gerechteres und erfolgreicheres Bildungssystem" kämpfen. Sein Fokus liegt Medienberichten zufolge auf lebenslangem Lernen, Chancengleichheit und leichterem Zugang zu Bildung. Finanzielle Hürden beim Zugang zu Bildung sollen auch an den staatlichen Hochschulen abgebaut werden. Die Pläne Cardonas passen zu jenen von US-Präsident Biden. Er hatte bereits angekündigt, dass Studiengebühren unter seiner Präsidentschaft sinken werden. Damit das gelingt, braucht Cardona ein starkes Team an seiner Seite, wie Beobachter berichteten, da er keine praktischen Erfahrungen in der Hochschulpolitik habe.

In seinem Wahlkampf hatte Biden angekündigt, die Studiengebühren für ein vierjähriges Studium an einer öffentlichen Hochschule für Familien zu streichen, die weniger als 125.000 Dollar im Jahr verdienten. An den Community Colleges soll das zweijährige Studium für alle kostenfrei werden. Zudem sollen Millionen Menschen ihre Schulden aus Studentendarlehen nicht oder nur teilweise zurückzahlen müssen. Unmittelbar nach Amtsantritt werde Biden eine seit August bestehende Zahlungspause verlängern, die die Trump-Regierung wegen coronabedingt hoher Arbeitslosigkeit eingeführt hatte. Die Höchstfördersumme für bedürftige Studierende, die über das Pell Grant-Programm unterstützt werden, will Biden verdoppeln. Der aktuelle Satz aus dem staatlichen Ausbildungsförderungsprogramm des Bildungsministeriums ist Medienberichten zufolge zu niedrig, um die Lebenshaltungskosten und Studiengebühren der Studierenden zu decken.

Hoffen können auch die rund 450.000 Studierenden, die als Kinder illegal in die USA eingewandert sind. Die sogenannten "Dreamer" sind bisher nur teilweise und vorrübergehend über das von Obama eingeführte DACA-Programm vor Abschiebung geschützt. Trumps wiederholte Versuche, das Programm abzuschaffen oder zu beschränken, scheiterten jeweils vor Gericht. Bidens Regierung will für das umstrittene Programm eine dauerhafte Lösung finden.

Entspannung im internationalen Austausch

Für Studierende und Wissenschaftler aus dem Ausland wird es künftig wahrscheinlich wieder einfacher werden, in die USA zu kommen, sofern die Corona-Pandemie es erlaubt. Trump hatte die Einreise- und Visaregeln in den vergangenen vier Jahren zunehmend verschärft. Für Menschen aus bestimmten, vorwiegend muslimischen Ländern gelten derzeit noch Einreisebeschränkungen, Promovierende dürfen maximal vier Jahre im Land bleiben. Viele schreckt das ab. Die Zahl der internationalen Studierenden an US-Hochschulen ist auch wegen Trumps Maßnahmen seit Jahren rückläufig, im Herbst brach sie zudem wegen Corona stark ein. Biden will Medienberichten zufolge die Reiseverbote per Dekret sofort nach Amtsantritt wieder lockern. Über sogenannte "Green Cards" wolle er dauerhafte Aufenthalte für Wissenschaftler erleichtern.

DAAD-Präsident Mukherjee hält den wissenschaftlichen Austausch für einen Gradmesser für die internationalen Beziehungen. Hoffnung bereite ihm dabei, dass die eingebrochenen Bewerberzahlen auf DAAD-Stipendien mit den USA sich seit dem Wahlausgang wieder erholten. "Die amerikanischen Hochschulen sind hochattraktiv für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland, unabhängig von der aktuellen Regierung im Land. Unter Biden sind die USA jedoch auch emotional wieder attraktiv geworden", meint Mukherjee. Mit dem Rückenwind einer wissenschaftsaffinen Regierung sei es auch für den DAAD leichter, das zerstörte Vertrauen durch wissenschaftlichen Austausch wieder aufzubauen. Das Interesse der USA, die Beziehungen zu Europa und Deutschland im Besonderen wiederzubeleben, sei groß, sagte AICGS-Präsident Jeff Rathke. Vorschläge für internationalen Austausch und Zusammenarbeit sollten jedoch auch von außen an Washington herangetragen werden. "Wir sollten nicht auf die Initiative von Biden warten, sondern selbst aktiv werden." Nur durch einen Vertrauensvorschuss und beiderseitiges Engagement könnten die internationalen Beziehungen wieder gestärkt werden. Rathke warnte zudem: "Die Visaregeln für Fachkräfte werden möglicherweise teils nicht sofort zurückgenommen werden. Biden wird genau prüfen, was den USA nützt und was nicht."

"Unter Biden sind die USA auch emotional wieder attraktiv geworden." Prof. Joybrato Mukherjee (DAAD)

Die Bildungs- und Forschungsausgaben sollen laut Biden erheblich erhöht und dabei "fair" auf alle Hochschulen des Landes verteilt werden. Bislang werden etwa Historisch afroamerikanische Hochschulen bei den Ausgaben Medienberichten zufolge enorm benachteiligt. Ein weiterer Plan von Biden sieht vor, Bundesmittel in Milliardenhöhe an Universitäten nach der Zahl ihrer Studierenden mit geringem Einkommen zu verteilen. Das solle sicherstellen, dass diese Studierenden ihr Studium beenden. Bisher würden sie deutlich häufiger ihr Studium abbrechen als Studierende mit höherem Einkommen.

"Die geringe soziale Mobilität ist das vielleicht größte Problem der USA. Pläne für mehr Bildungsgerechtigkeit wie Diversity und Affordability sind wichtige Ziele von vielen US-Hochschulen", sagte Professor Christian Martin, Inhaber des Max Weber-Lehrstuhls für Deutschland und Europastudien an der New York University, gegenüber Forschung & Lehre. Der Umsetzung seien aber Grenzen gesetzt: Bildung müsse irgendwoher bezahlt werden, Studiengebühren seien nicht gänzlich ersetzbar. "Dass Hochschulen elitäre Orte mit einer teils wenig einladenden Außenwirkung sind, ist angesichts ihrer hohen Bildungsstandards und spezialisierten Aufgaben notwendig und richtig." Der vorherrschenden Elitenskepsis, die sich auf Institutionen wie Hochschulen ausweite, müsse das Wissenschaftssystem mit einer besseren Kommunikation des "Schatzes" des wissenschaftlichen Diskurses und der wissenschaftlichen Methode begegnen.

Die Corona-Pandemie setzt die Hochschulen in den USA zusätzlich unter Druck. Biden hat dafür sofortige Hilfe nach Amtsantritt angekündigt. Am Donnerstag hatte das alte Bildungsministerium 21,2 Milliarden Dollar für die Hochschulen freigegeben, Biden kündigte am selben Tag weitere 35 Milliarden Dollar für Hochschulen aus seinem geplanten Corona-Hilfspaket an. Gefordert hatten Wissenschaftsvertreter Medienberichten zufolge 120 Milliarden Dollar. Die sinkenden Studierendzahlen und die dadurch wegfallenden Studiengebühren bedeuten auch ein finanzielles Loch für die Unis. Die Corona-Hilfspakete sollen die Unis entlasten und ihnen vor allem Hygienepläne und Distanzunterricht ermöglichen. Kürzungen in der Hochschulbildung sollen verhindert oder zumindest abgemildert werden. Auch finanzielle Nothilfen für Studierende sind damit vorgesehen.

"Team Biden" gegen Klimawandel und Corona

Doch nicht nur die Hochschulen will Biden fit für die Zukunft machen und weltoffener gestalten. Auch bei der Aufstellung der USA in internationalen und nationalen Gremien ist unter Biden ein Richtungswechsel zu erwarten. Unter Trump haben die USA die World Health Organisation (WHO) und das Pariser Klimaabkommen verlassen. Beide Entscheidungen will Biden laut seinen Ankündigungen unmittelbar nach Amtsantritt zurückzunehmen. Außerdem will er laut Medienberichten ein milliardenschweres Klimapaket auf den Weg bringen.

Nach Bidens Wunsch soll alles, was seine Regierung tue, "auf Wissenschaft, Fakten und der Wahrheit basieren". Das spiegelt sich auch in der Wahl seiner Berater wider. Zu dem von ihm am Freitag nominierten Beraterteam, dem "Beirat des Präsidenten für Wissenschaft und Technologie", sollen unter anderem die Chemie-Ingenieurin Frances Arnold und die Astrophysikerin Maria Zuber gehören. Die Soziologin und Princeton-Professorin Alondra Nelson soll dessen stellvertretende Direktorin für Wissenschaft und Gesellschaft werden, der Genetiker und Harvard-Professor Eric Lander übernimmt als wissenschaftlicher Chefberater des Präsidenten dessen Leitung. Zum ersten Mal erhält der oberste wissenschaftliche Berater der US-Regierung zudem einen Kabinettsrang. Landers Position gleicht damit der eines Wissenschaftsministers. Unter Wissenschafts- und Hochschulvertretern in den USA stieß dieser Vorstoß auf viel Lob. "Bidens Kabinettsbesetzung spricht für seine Fähigkeit, gleichzeitig hochkompetente Personen auszusuchen und Diversität abzubilden – ein Kabinett, das aussieht wie das Land", meint Professor Christian Martin.

"Ein Kabinett, das aussieht wie das Land." Prof. Christian Martin

Alle von Biden vorgeschlagenen Beraterinnen und Berater müssen nach seiner Amtseinführung vom Senat bestätigt werden. Mit einer Mehrheit der Demokraten im US-Repräsentantenhaus und einem Patt im Senat wird es für Biden insgesamt einfacher werden, seine Agenda umzusetzen. Trotzdem bleibt die Mehrheit knapp. Über Details von Bidens Agenda dürfte innerhalb der demokratischen Partei Uneinigkeit herrschen, insbesondere über die Verteilung der geplanten Kosten in Billionenhöhe, etwa für die Streichung der Studiengebühren oder der Corona-Hilfen. Kritik dürfte es laut Medienberichten auch dafür geben, dass Bidens Agenda für Hochschulbildung eine starke Einmischung des Bundes in Ländersachen bedeuten würde und auch den Bundesstaaten hohe Kosten abverlangen würde.

Die Pläne sind da, die Wunschliste lang, doch deren Umsetzung bleibt angesichts schwieriger Machtverhältnisse, einem tief gespaltenen Land und laufenden Krisen unklar. Auch Trumps Erbe könnte schwerer wirken als bislang gedacht, zum Beispiel in der Klimaforschung. Allein in der Umweltschutzbehörde EPA sind laut "Scientific American" während seiner Amtszeit 600 Personen gegangen, das Budget sei stärker gekürzt worden als gedacht. Wieviel Arbeit auf das "Team Biden" zukommt und was am Ende von Bidens hoch gesetzten Zielen bleibt, wird sich daher erst während seiner Amtszeit zeigen.