Eine im Schatten sitzende Person
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Wissenschaftliche Karriere
Angst durch ­Corona

Die Coronapandemie schürt Zukunftsängste. In der Wissenschaft hängen diese stark von Karrierestatus, Fachbereich und privaten Umständen ab.

Die Coronapandemie stellt für uns alle eine außergewöhnliche Herausforderung dar und sorgt in vielen Lebensbereichen für Umbrüche sowie eine geringe langfristige Planbarkeit. Im Privaten erfordern beispielsweise die Einschränkungen sozialer Kontakte sowie kurzfristige Schulschließungen fortlaufendes Umplanen und Anpassungsprozesse.

Auswirkungen der Pandemie auf die berufliche Situation sind vielschichtig und lassen sich in einer Kombination aus unterschiedlichem Infektionsrisiko (medizinisches Personal auf COVID-19-Stationen bis hin zu ausschließlich im Home-Office Beschäftigten) sowie finanzieller bis hin zu existenzieller Bedrohung, von der Verhinderung der Berufsausübung (zum Beispiel Kultur und Gastronomie) über Kurzarbeit (vor allem im industriellen Bereich) bis hin zu Profiteuren (zum Beispiel im Bereich IT) beschreiben.

In nahezu allen Bereichen befördert dies die Wahrnehmung von Arbeitsplatzunsicherheit. Dabei kann zwischen der quantitativen und qualitativen Unsicherheit differenziert werden. Während erstere sich auf den möglichen Verlust des Arbeitsplatzes bezieht, meint zweitere die Sorge, dass geschätzte Arbeitsplatzmerkmale verloren gehen. Beide Formen der Arbeitsplatz­unsicherheit gehen wiederum mit vermehrter Burn­out-Symptomatik sowie einer geringeren Arbeitszufriedenheit einher. Das Ausmaß der erlebten Unsicherheit variiert jedoch in Abhängigkeit der Beschäf­tigungs­bedin­gungen und Branche.

Einschränkungen bei Forschungszeit

Auch im akademischen Bereich sind Risiken, Unsicherheiten und Ängste ungleich verteilt. Dies hängt unter anderem von der bereits erreichten Karrierestufe ab. So empfinden Personen, die eine unbefristete Stelle innehaben, vermutlich weniger quantitative Arbeitsplatzunsicherheit. Beschäftigte, die beispielsweise über Projektstellen finanziert werden, könnten hingegen einen vermehrten Leistungsdruck einhergehend mit der Sorge über den erfolgreichen Projektabschluss empfinden. Hiervon scheint insbesondere die experimentelle Forschung betroffen zu sein, welche von der physischen Anwesenheit im Labor abhängig ist. Entsprechend berichten Myers et al. (2020), dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser Fachbereiche während der Pandemie bis zu 40 Prozent weniger forschen können.

Neben der Forschungsdisziplin bestimmen auch private Rahmenbedingungen den Einfluss der Pandemie auf das Arbeitsleben. So scheinen Forscherinnen und Forscher mit Kindern im (Vor-)Schulalter eine deutliche Reduktion der Zeit, die sie der Forschung widmen können, zu erleben. Zudem deuten Studien auf eine tendenziell stärkere Verschlechterung der Work-Life-Balance sowie der wissenschaftlichen Produktivität für Wissenschaftlerinnen im Vergleich zu männlichen Kollegen hin (zum Beispiel Crabtree et al., 2020). Zusätzliche Sorgen können mit Blick auf Drittmittelförderungen entstehen. Während in einigen Ländern Kürzungen jenseits von "Hot Topics" befürchtet werden, scheint Deutschland im Vergleich weniger von derartigen Entwicklungen betroffen zu sein.

Neben den akuten Rahmenbedingungen wirken sich auch die sich daraus ergebenden langfristigen Folgen für die berufliche Karriere auf das Unsicherheitserleben aus. Es bieten sich weniger Möglichkeiten des Netzwerkens, insbesondere für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Tagungen fallen aus oder bieten im Online-Format weniger Möglichkeiten des direkten Austauschs. Auslandsaufenthalte, die in vielen Bereichen nahezu als biografische Notwendigkeit einer akademischen Karriere gesehen werden, konnten nicht angetreten oder mussten auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Die Kumulation dieser Einschränkungen kann in der Qualifizierungsphase wiederum zu vermehrten Zukunftsängsten führen.  

In allen akademischen Evaluationsprozessen (zum Beispiel von Junior-Professuren), bei der Besetzung von Stellen sowie bei der Bewertung von Vorleistungen in Drittmittelanträgen sollten die individuellen Rahmenbedingungen während der letzten und wohl noch folgenden Monate daher noch stärker berücksichtigt werden.

Förderangebote nutzen und besser kommunizieren

Zudem können Einzelne prüfen, inwieweit ihnen bestimmte Ausgleichsangebote zustehen. So bietet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) einen Ausgleich pandemiebedingter Einschränkungen an. Zum Abschluss von Projekten stellt die DFG zusätzliche Personal und Sachmittel über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten zur Verfügung und gewährt die Option einer kostenneutralen Verlängerung von Projekten. Der Bund hat durch das Wissenschafts- und Studierendenunterstützungsgesetz (WissBdVV) im Mai und September 2020 die gesetzliche Höchstbefristungsdauer, wie sie im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) festgeschrieben ist, um insgesamt 12 Monate verlängert. Zudem bieten einige Fachgesellschaften unbürokratische Hilfen für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler an. Der Deutsche Hochschulverband hat auf seiner Webseite weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Reduktion des Lehrdeputats vorgeschlagen.

Zusätzlich können Einzelne über unterschiedliche Zugänge zu ihren Forschungsthemen reflektieren. So könnte beispielsweise die Schließung von Laboren Raum zur Anfertigung von Übersichtsarbeiten (zum Beispiel Metaanalysen) oder zum Schreiben neuer Projektanträge sowie zur Anbahnung von Forschungskooperationen bieten.

Zwar treffen innerhalb einzelner Fachdisziplinen die Nachteile, insbesondere in der Möglichkeit der Durchführung von Studien, aber auch der Quellenarbeit gleichermaßen die Scientific Community und dies nicht nur lokal, sondern weltweit. Jedoch sorgen die vertragliche Situation, stark variierende Qualität in der Betreuung und im Führungshandeln sowie insbesondere die private Lebenssituation für eine ungleiche Verteilung von Chancen. Eine Erleichterung mag sein, dass innerhalb wissenschaftlicher Teildisziplinen die beruflichen Rahmenbedingungen und Einschränkungen in der wissenschaftlichen Arbeit nahezu alle betreffen.

Die auf verschiedenen Ebenen geschaffenen Erleichterungen für die Verlängerung von Verträgen können noch besser kommuniziert und ausgenutzt werden. Fachgesellschaften sowie Forschungseinrichtungen können hier bei der Information sowie der Schaffung von Plattformen zum kollegialen Austausch noch weitere Unterstützungsarbeit leisten.

Darüber hinaus kann eine Krise auch mit dem Aufbau persönlicher Kompetenzen und Ressourcen einhergehen, welche die Fähigkeit, langfristige Ziele zu setzen und sich an dynamisch verändernde Rahmenbedingungen anzupassen, fördern. Dieser Prozess gilt als wichtiger Indikator eines (arbeits-) psychologischen Gesundheitsverständnisses.